Kaum Hilfe bieten Ontologie, Naturphilosophie und Wissenschaftstheorie

Die Welt existiert und verändert sich nach ihr innewohnenden Regeln, die wir Menschen aufstellen, uns Gegebenheiten und Abläufe verständlich zu machen. Zugrunde legen wir immer ein (meist vereinfachendes) Modell. Dieses Modell der Welt ist von Natur aus beschreibend, nicht begründend und nicht eine innen wohnende Ursache klärend. Wir können uns etwa den Zahlenwert einer Naturkonstante nicht erklären. Von uns als Naturgesetz formulierten Regeln existieren nicht als unabhängige geistige Entität. Und sie können nicht von einem Schöpfer entworfen worden sein, denn weshalb sollte der in menschlichen Kategorien und Maßstäben denken. Die Menschheit ist im Maßstab des Universums gänzlich unbedeutend. Und welche Rolle darf der (einst) selbstgefällige Philosoph heute spielen? Im Licht der wachsenden Kenntnisse der Naturwissenschaften - auch über uns selbst - ist die Philosophie dazu verurteilt, sich mehr und mehr zurückzuziehen wie ein Schatten mit der aufsteigenden Sonne. Und was bleibt? Es bleiben bestimmte Fragestellungen, auf die Naturwissenschaften heute und in der Zukunft keine Antwort geben können. Die Philosophie konnte und kann dafür nur scheinbare Antworten in manchmal verwirrenden Wortspielen anbieten. Wir müssen vielmehr lernen, als Menschen bescheidener mit Fragestellungen umzugehen. Und wir müssen mit der Erkenntnis leben: Gewisse Fragestellungen entspringen einer zu menschlichen Perspektive - aus unserer persönlichen Lebenserfahrung heraus mit Entstehen und Vergehen, mit Lebensentscheidungen, deren jede wir vor uns selbst begründen müssen... Das Universum um uns und in uns ist wie es ist, benötigt keine Gründe. Wir dürfen zur Kenntnis nehmen und für uns Begründungen suchen. Jeder Erkenntniszuwachs muss regelmäßig zuerst zur Kenntnis nehmen und dies oft mit großem erstaunen, wie die Welt ist, was in ihr geschieht, und dies heute vor allem nicht mehr mit den uns geschenkten Sinnen, mit weiter und feiner messenden Instrumenten. Nach dem erkannten "wie" suchen wir für uns eine erklärende Theorie, ein Modell, das eine Antwort auf "warum" bieten kann. Und wir schätzen uns glücklich, wenn die Antwort auf einfachen Annahmen ruhen kann, uns viel erklärt und Voraussagen erahnen lässt über noch nicht beobachtete aber zu erwartende Phänomene. Beispiele dafür finden sich viele, nicht zuletzt in der Elementarteilchenphysik.

Wir Menschen versuchen die Welt zu verstehen mit den uns von der Evolution eingeräumten Mitteln aus unserer menschlichen Perspektive, mit unseren Sinnen erweitert um den langen Arm der Messtechnik und mit ihr auch objektiviert. Beobachtungen und Experimente sind ersonnen in unserem Gehirn. Werner Heisenberg kennzeichnete es so: "Der Gegenstand der Forschung ist nicht die Natur an sich, sondern die der menschlichen Fragestellung ausgesetzte Natur, und insofern begegnet der Mensch auch hier wieder sich selbst." Oder folgen wir Richard David Precht`s Formulierung: "Wenn das menschliche Bewusstsein nicht nach dem Kriterium einer absoluten Objektivität ausgebildet wurde, so vermag der Mensch nur das zu erkennen, was der im Konkurrenzkampf der Evolution entstandene kognitive Apparat ihm an Erkenntnisfähigkeit gestattet. Die Einsichten der Naturwissenschaften unterliegen typisch menschlichen Erkenntnisbedingungen." Und unser Streben nach Erkenntnis verfolgt den kaum erfüllbaren ultimativen Traum zu verstehen wie die Welt entstanden ist. Immer mehr konnten wir dank der vielen technischen Errungenschaften und  Hilfsmittel zur "Verlängerung unserer Sinne" zu diesem Thema ergründen, doch der Urknall, ja selbst Schwarze Löcher, werden wohl auch in Zukunft einige Rätsel bewahren und dem Drang der Forscher trotzen. Die Situation hat Rüdiger Vaas auf den Punkt gebracht: "Wie entsetzlich unzulänglich steht der Theoretische Physiker vor der Natur - und vor seinen Studenten, klagte Einstein auch. Andererseits bleibt dem Theoretischen Physiker wenigstens ein Grinsen - und der Experimentalphysiker hat die Arbeit. Nämlich die Katze im Sack seiner Messgeräte zu fangen oder aber zu zeigen, dass es gar keine gibt."

Immerhin die Bestätigung mit messtechnischen Geräten beweist, dass unser Gehirn aus Informationen der Sinnesorgane ein inneres Abbild der Welt erzeugt und zwar erstaunlich nahe an einer am menschlichen Vorstellungsvermögen sich orientierenden objektiven Wirklichkeit  - "Täuschungen" als Ausnahmen inbegriffen. Gerade diese zeigen wie unser Gehirn mit seinen Fähigkeiten - etwa seinem logischen Kombinationsvermögen und seiner Abstraktionsfähigkeit unbewusst wirkt. Unsere innere Vorstellung von der Welt ist geprägt durch die uns geschenkten Sinne, auf deren Verarbeitung sich unser Hirn eingestellt hat. Die Messtechnik erlaubt uns zunehmend ungewohnte Perspektiven. Jeder kann sich vorstellen, welch ganz anderes Bild derselben Welt wir im Gehirn "sehen" würden, wenn unsere Augen kurzwelliges "Licht" im Frequenzbereich der Röntgenstrahlung aufnehmen würden. Noch völlig anders wäre unser Abbild der Welt, hätten wir im Gedankenexperiment auf Neutrinostrahlung spezialisierte Augen. Wir könnten uns selbst nicht sehen, unsere Umgebung wäre extrem durchsichtig. Unsere künftige Vorstellung von der Welt wird gerade durch die nicht unseren Sinnen jedoch der Messtechnik zugänglichen Informationen zunehmend reicher. Diese Informationen leichter verständlich zu machen, sind die "bildgebenden" Verfahren beliebt, die Rechenergebnisse in für das menschliche Vorstellungsvermögen gewohnte Bilder umsetzen wie wir sie von Computertomographen oder Rasterelektronenmikroskopen kennen. Die jeweilige Umsetzungsmethode muss "mit seinem Gehirn" von jemandem zuvor erdacht und programmiert worden sein. Unser zukünftiges Weltbild wird im Kern deshalb immer mehr von Messtechnik, Mathematik und abstraktem Denken bestimmt sein.

Wir reduzieren unser Abbild der Welt auf Modelle mit wesentlichen Eigenschaften und beschreiben sie mit unseren "Sprachen", besonders der Mathematik. Sprache erlaubt nicht nur Kommunikation zwischen Menschen, eben auch die Formulierung unseres Abbilds von der Welt einschließlich uns selbst und unserer Regeln wie sie funktioniert.

In unserer wissensbasierten reichen Gesellschaft können sich immer mehr Menschen nicht nur am Wissenserwerb beteiligen, auch an der Erforschung noch unbekannter Seiten der Welt. Dies ist möglich dank wachsender Produktivität, immer weniger Kraft und Zeit muss der einzelne Mensch für seine Grundbedürfnisse aufwenden. Diese Tendenz hat sich nach der Katastrophe des 2. Weltkrieges enorm beschleunigt, zunächst in den USA, dann auch im vom Krieg gezeichneten Europa. Waren es zunächst Forscher-Persönlichkeiten (wie etwa Alfred Recknagel), die immerhin schon tausenden von Studenten in Hörsälen eine solide Wissensbasis vermitteln konnten, ist es heute eine "Industrie" der Wissensvermittlung mit vielen Facetten und Hilfsmitteln wie Computer und weltweiter Vernetzung, beinahe mühelos schneller Verbreitung von Erkenntnissen.

Aber unser Weltbild ist das eines subjektiv geprägten Beobachters mit den uns von der Evolution gewährten Fähigkeiten: Wir sehen die Welt aus unserer Perspektive, verstehen sie in einem Netzwerk von Zusammenhängen, die sich in menschlicher Denkweise gegenseitig begründen sollen. Wir suchen nach einer Modellvorstellung von der Welt, einem modellanhängigen Realismus. Unser Wissen ist eine tragfähige Insel im Ozean unseres Unwissens. Und insofern entspricht unser Modell keinem Endzustand, es befindet sich immer in einem Entwicklungsprozess. Wenn wir schon eine Weltformel gefunden hätten, würde sie uns als funktionierendes Modell erklären können, wie die Welt von allen uns bekannten Kräften beherrscht und zusammengehalten wird. Und Optimisten unter den theoretischen Physikern glauben in der M-Theorie das Regelwerk der Welt schon erkennen zu können. Doch gewiss warten weitere exotische Kräfte und Materiezustände auf ihre Entdeckung und Menschen werden nach erweiterten Erklärungen suchen müssen... Die "Natur" der Welt beinhaltet erfüllte und zusätzlich noch mögliche Zustände, die von uns in der erlebten Welt nicht wahrgenommen werden und wahrscheinlich auch solche, die von ihr (gegenwärtig) noch nicht eingenommen ("belegt") sind. Mikro- und Makrokosmos lehren uns, dass Zustände erlaubt sind, die uns fremd erscheinen, weil wir sie nicht aus der Perspektive unserer Sinne beobachten können und sie nicht unseren Erfahrungen entsprechen, wir uns ihnen aber mit aufwändiger Technik - auch noch zu erfindender - annähern können. Besonders Anfangszustände des Universums, auch solche seiner fernen Zukunft, gehören ebenso dazu wie kleinste Teilchen und Wechselwirkungen im quantenphysikalischen Mikrokosmos.

Gewiss werden umfassendere Theorien gefunden werden, fähig auch extreme Zustände zu beschreiben, die Anteil daran haben - "was die Welt im Innersten zusammen hält". Dennoch ist wohl auch deutlich geworden, was am besten mit Albert Einsteins Worten beschrieben ist: "Die eigentliche Schwierigkeit liegt darin, dass die Physik eine Art Metaphysik ist. Sie beschreibt die Wirklichkeit. Aber wir wissen nicht, was (umfassend) Wirklichkeit ist. Wir kennen sie nur durch die (unsere) physikalische Beschreibung und da beißt sich die Katze in den Schwanz."

Und es gibt da noch das erwähnte Problem der kosmischen Zensur. Es scheint ein sehr tief liegendes Prinzip zu geben (universelle Zensur), das uns Grenzen setzt. Ein neu entstandenes Universums scheint alle Hinweise auf ein "davor" auszulöschen. Ferner wird uns kein Blick in ein anderes Universum gewährt, falls andere Universen parallel existieren. Selbst Anstrengungen innerhalb unseres Universums sozusagen die "letzten Geheimnisse" seines Anfangs zu erfahren, versprechen keinen Erfolg. Und mit Bescheidenheit müssen wir als "vernunftbegabtes Tier" zur Kenntnis nehmen und auch vollkommen akzeptieren: Keine von den vielleicht zahlreichen fernen intelligenten Lebensformen im Universum einschließlich uns selbst kann das Potenzial entwickeln, die Mysterien der Natur in einer vollständigen absolut gültigen Weise zu entschlüsseln. Als innerer Bestandteil des Universums können wir gewissermaßen in Verallgemeinerung von Gödels Unvollständigkeitssatz mit der uns je erreichbaren Menge an zugänglichen Informationen keine Begründung für unsere Welt einschließlich unserer Existenz finden. Die Fähigkeit dazu könnte wohl nur in einer "Außenperspektive" erlangt werden.

Ein sehr spezieller Weg der Evolution hat unseren Verstand hervorgebracht mit der wunderbaren Fähigkeit zur Selbsterkenntnis und dem Antrieb, das Universum verstehen zu wollen. Diesen Schatz hütet die Menschheit in einem kurzen Zeitraum von 0,001% seit der Existenz des Universums und zwar auf einem winzigen Staubkorn mit sehr speziellen Eigenschaften "Erde". Die Evolution hat uns programmiert auf die Erhaltung unseres Genotyps in dieser Umwelt. Wir sollten uns nicht wundern über unsere "Fehlleistung", solch nicht erlebbare Extremfälle wie das Universum als Ganzes und seine Entwicklung oder die Quantenwelt seiner kleinsten Bestandteile, intuitiv begreifen und schon gar nicht mit Sinnen erfassen zu können! Und wie wir gelernt haben und akzeptieren müssen, können wir mit all uns in Zukunft verfügbaren technischen Hilfsmitteln nicht alle Mysterien der Planck-Welt experimentell erforschen. Immerhin bleiben uns Gedankenexperimente, nicht mit unmittelbarer Beweiskraft, doch wenigstens fähig, die eine oder andere Folge unserer Modellvorstellung von der Welt zu überprüfen.

Die Naturphilosophen strebten seit der Antike danach, die Welt auf der Basis ihrer Kenntnisse und ihrer Phantasie zu verstehen. Ehrfürchtig nehmen wir zur Kenntnis wie genau etwa Eratosthenes (-276 bis -196) den Erdradius berechnen konnte - mit Spürsinn aus den Längen der Schatten zur Sommersonnenwende, den Breitengraden und der Entfernung zwischen Assuan und Alexandria. Die sprachgewandten Texte der meisten Philosophen gleichen im Rückblick aber bis in unsere Zeit eher den Schatten, die immer weiter zurückweichen vor dem Licht der Naturwissenschaften. Die Philosophie ist konfrontiert mit ständigem Verlust an Zuständigkeiten. Dennoch, unsere unbegrenzte Fähigkeit, mehr und mehr Geheimnisse der Welt zu ergründen, muss gerade auch die Einsicht einräumen, dass wir nie absolut wissen können, "was die Welt im Innersten zusammenhält". Alle unsere Erkenntnis ist ihrem inneren Kern nach beschreibend und keine Erkenntnis der Welt an sich. Grundsätzlich müssen wir zufrieden sein mit der aktuellsten Beschreibung der Welt im Einklang mit allen uns möglichen Messungen und Experimenten ohne einen innersten Grund, eine Ursache dafür kennen zu können. Insofern ist jede Erkenntnis, jede Theorie zur Beschreibung der Welt vorläufig bis sie einer genaueren, umfassenderen weichen muss. Und zur Kenntnis zu nehmen haben wir: Die Welt hat keinen "Sinn", es gibt keinen Grund dafür, dass sie so entstanden ist wie sie ist. Solche Begriffe sind menschlich, entstammen unserem biologischen Wesen. Es wäre vermessen das Universum müsste sich einer so unbedeutenden Spezies "Mensch" gegenüber rechtfertigen und erklären weshalb es so ist. Es benötigt keine Begründung für seine Existenz.

Religionen und Philosophien sind unser Kulturgut, ein Wert an sich. Wir würden Gott degradieren und ungerecht zu unseren Philosophen sein, wenn wir sie nur für das zuständig erklärten, was wir noch nicht wissen.

 

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