Selbsterkenntnis
" Was
also habe ich vordem geglaubt
zu sein" fragte Rene Descartes. "Doch
wohl ein Mensch.
Aber was ist ein Mensch?"
Wer bin ICH, was bin ICH? Die Frage lässt uns keine Ruh´ und Philosophen versuchen sich lange schon mit Antworten. Erst die Neurobiologie schenkt uns langsam reinen Wein ein.
Was ist ICH? Ein Kind lernt innerhalb einiger Monate, sich im Spiegel selbst zu erkennen. Ein Hund hört auf den ihm zugewiesenen Namen. Jedes höher entwickelte Lebewesen erkennt gewiss, dass ein Schmerz im Bein zu ihm gehört. Wo höre ich auf, wo ist meine Grenze? Die körperliche Begrenzung könnte scheinbar die simple Antwort sein auch für mein Ich. Allerdings, nur all zu schnell trennen wir uns von Körperlichem: beim Friseur, beim Operateur, mit der Nagelschere.... Und manch Behinderter kann eine Prothese, ein Blinder seinen Gehstock als Teil von sich empfinden.
In einfacheren Lebensformen sind Nervenzehttp:.jpgllen wie andere aufgabenteilige Helfer für das Überleben. Unseren Körper dagegen können wir als zerbrechlichen aber notwendigen Dienstleister für unser Gehirn ansehen. Bin ich mein Gehirn? "In einer Hand voll Hirn leb ich", sagt Campanella. Doch innerhalb des Hirns fällt eine Abgrenzung schwer. Die Schmetterlinge im Bauch, unser Gefühlsleben gehört auch zu uns. Der Mensch lebt als GANZES. Ganzheitliche Selbstwahrnehmung ist deshalb untrennbarer Bestandteil jeder Selbsterkenntnis. Die aber überschreitet die Grenze vom Wahrnehmungsbewusstsein hin zum kognitiven und abstrakten Denken, ist mehr als Selbstwahrnehmung.
Und wir Menschen sind sind soziale Wesen, empfinden Empathie, wünschen uns Berührung, lernen schon als Kind "an die Hand genommen zu werden". Wir sind keine Hermaphroditen, allein fühlen wir uns unvollkommen. Unser Hormonsystem leitet und hilft uns zu gemeinsamem Leben.
Letztlich besteht unser ICH aus dem
flüchtigen Neuronenkonzert unserer Großhirnrinde
"wie wir uns selbst wahrnehmen".
Wir müssen lernen und akzeptieren wie zerbrechlich unsere Seele tatsächlich ist.
Gibt es etwas flüchtigeres als unser Neuronenkonzert, zerbrechlicher als als die
meisten unserer Organe? Wir selbst sind der Momentanzustand unseres Gehirns
einschließlich aller darin erwachten Gefühle. Unser lebenslängliches Lernen
schuf uns die selbst organisierten neuronalen Verbindungen, die nun unsere
Persönlichkeit, unser ICH beherbergen und es ermöglichen, unsere Erinnerungen und
Erlebnisse zu aktivieren, unseren Verhaltenskodex, den Charakter zu leben... Das
individuelle Zentrum unseres ICHs ist die Innenperspektive unseres Bewusstseins.
Unserem trügerischen Empfinden nach hat es ein Eigenleben, losgelöst von unserem
zerbrechlichen Körper. Von uns selbst kennen wir vor allem unsere Gefühle und das
Abbild unseres inneren Körpers im Gehirn, weniger unser Aussehen - wie es andere
erblicken. Mein eigenes Abbild meiner Erscheinung in mir ist eher geschönt: ich
sehe mich jünger als ich tatsächlich bin. Jeder Spiegel kann mich erschrecken.
Wenn wichtige Organe unseres Körpers versagen, spürt es unser empfindliches Hirn schnell. Meine letzte Wegstrecke kann ich vielleicht mit mir verbliebenen Sinnen erleben, noch wahrnehmen. Mein Sterben kann ich nicht begreifen oder wie ein anderer Mensch in der Außenperspektive beurteilen und verstehen. Mein flüchtiges Neuronenkonzert verstummt mit zunehmendem Sauerstoffmangel, meine Seele erlischt, für mein ICH bleibt die Zeit stehen: mein persönlicher "Ereignishorizont" ist erreicht. Merkwürdig, wie viele intelligente Menschen sich die Wahrheit nicht zumuten wollen und an eine dauerhafte Existenz ihrer Seele als unsichtbare äußere Instanz glauben. Ist sie doch der emotionale, psychische, mentale und rationale Kern unseres ICHs im zerbrechlichen Neuronenkonzert unseres Gehirns. Verletzungen oder Drogen zeigen uns doch wie leicht das Konzert zum Missklang entarten kann.
Friedrich Nietzsche thematisierte: "Leib bin ich und Seele - so redet das Kind. Und warum sollte man nicht wie Kinder reden? Aber der Erwachte, der Wissende sagt: Leib bin ich ganz und gar und nichts außerdem; und die Seele ist nur ein Wort, ein Etwas am Leibe."
Du bist dein ICH, Bestandteil deines flüchtigen
Neuronenkonzerts. Heute identifizieren wir unseren
"Tod" mit dem irreversibel eingetretenen Hirntod, dem Ende unseres
Neuronenekonzerts, für dich endet die Zeit - um dich herum kann es anders sein.
Ein Vogel singt weiter sein Lied, "jedes hat seine Zeit". Im Altertum wussten Philosophen nichts vom Neuronenkonzert,
einige dachten aber wohl in einer Weise, die uns frisch und weitsichtig
erscheint und tröstlich anspricht genau wie damals.
Epikur (-341 bis -271) lehrte: "Gewöhne Dich an den Gedanken, dass es mit dem
Tod für uns nichts auf sich hat. Denn alles Gute und Schlimme beruht auf
Empfindung; der Tod aber ist die Aufhebung der Empfindung. Das angeblich
schaurigste aller Übel also, der Tod, hat für uns keine Bedeutung: Denn solange
wir noch da sind, ist der Tod nicht da; stellt sich aber der Tod ein, so sind
wir nicht mehr da." Lucius Annaeus Seneca (-4 bis 65) schrieb: "Der Tod ist die
Erlösung
von allen Schmerzen und völliges Aufhören; über ihn gehen unsere Leiden nicht
hinaus. Er versetzt uns wieder in den Zustand der Ruhe, in dem wir uns befanden
ehe wir geboren wurden. Bedauert jemand die Gestorbenen, so muss er auch die
Ungeborenen bedauern. Der Tod ist weder ein Gut noch ein Übel, denn ein Gut oder
Übel kann nur etwas wirklich Vorhandenes sein; aber was selbst nichts ist und
alles in ein NICHTS verwandelt, das gibt uns gar keinem Schicksal preis."
Weiter leben gern verschenkte Erbanlagen, bruchstückhafte Erinnerungen in der Perspektive der Mitmenschen, vielleicht auch der eine oder andere ausgetauschte Gedanke, das Neuronenkonzert ist weiter gezogen... Die spärlichen körperlichen Reste sind bereit zu neuen Abenteuern im biologischen Kreislauf und letztlich in ferner Zukunft auch zu extremen Zustandsänderungen als winziger Bestandteil des Universums.