Dein Leben ist dir "geschenkt" worden und zwar geschieht das genau ein einziges mal. Deshalb, benutzen sollst du es so......Nein, es ist dein Weg, du musst ihn finden, er wird einzigartig sein und sich nie bei irgendeinem anderen Menschen wiederholen. Statistiker sagen voraus: Dein Herz wird im Leben 3 Milliarden mal schlagen, Du wirst mit 700 Millionen Atemzügen nach Sauerstoff suchen. Unsere Natur hat uns erstaunliche Fähigkeiten geschenkt - etwa uns solche Fragen zu stellen, woher wir als Menschheit kommen und wohin wir gehen. Dieses "Bewusstsein" wurde uns als Spezies und wird auch jedem als Individuum erst in einem späteren Entwicklungsstadium gegeben, so dass Herkunft und Entwicklung niemandem intuitiv bewusst sind.

Carl Sagan sagt über das Leben: "Das sind Dinge, die Wasserstoffatome anstellen, wenn man ihnen 15 Milliarden Jahre Zeit gibt." Doch so selbst verwirklichend ist das nicht: Im Weltall herrschen lebensfeindliche extreme Bedingungen, nur winzige Inseln bieten den Luxus einer habitablen Umgebung in Planetensystemen und auch in Galaxien. Und dort besteht keine Garantie für die Entstehung von etwas so komplexem wie Leben und schon gar nicht in einer entwickelten Form mit Bewusstsein. Für die Entstehung von Leben geeignete Planeten mit harter Kruste, Wasser und einer Atmosphäre konnten sich erst in einer späten Entwicklungsphase des Universums bilden, nicht aus dem primordialen Gas des Urknalls - aus dem Sterne der ersten Generation ("Population III") und große Gasplaneten entstehen konnten. Neben Wasserstoff waren anfangs nur die leichtesten Elemente vorhanden. Ein Stern wie unserer Sonne ("Population I") mit einem Planetensystem, das eine Nische für die Entstehung von Leben beherbergt, konnte sich erst aus dem (wie die Astronomen sagen "metallhaltigen") Nebel - dem Überrest eines ausgebrannten Sterns wahrscheinlich dritter Generation bilden. Erst die Explosion einer Supernova oder die starken Sternwinde eines Wolf-Rayet-Sterns befreit die im Sterninnern fusionierten und dort gefangenen Elemente höherer Ordnungszahl wie Silizium, Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff und Eisen und verteilt sie im Weltraum. Höher entwickelten Lebensformen stellen allerlei Ansprüche an die Verfügbarkeit vieler chemischer Elemente. Wir etwa bestehen bezogen auf unser Gewicht nicht nur aus 56 (Gewichts-)% Sauerstoff, 28% Kohlenstoff, 9% Wasserstoff, 2% Stickstoff und 1,5% Calcium, benötigen zahlreiche "Baustoffe" als Spurenelementen. Bedingungen für die Entstehung eines Sonnensystems mit einem lebensfreundlichen "habitablem" Planeten bieten sich im Universum am ehesten in scheibenförmigen Spiralgalaxien und in einer mittleren Entfernung vom galaktischen Zentrum. Vor 4,6 Milliarden Jahren begann sich so unsere kosmische Umgebung zu bilden - nach der Explosion eines unbekannten sterbenden massereichen Sterns (Beispiele Bild oben links: Supernova 1987, Bild rechts: Reste eines solchen Ereignisses finden sich auch im Krebs-Nebel M1). Die Supernova im Krebs-Nebel ist im Jahr 1054 explodiert und war für einige Monate so hell, dass sie auch am Tag sichtbar war. Nur bei einem solchen gewalttätigen Ereignis entstehen durch Neutroneneinlagerung auch die Atomkerne der Elemente schwerer als Eisen. 750.000 Jahre nach der Explosion formierte sich aus im Raum verstreuten Resten das Sonnensystem mit all den Elementen für die feste Kruste "unseres" Planeten Erde und letztlich die Entwicklung des Lebens.

Die Erde erlebte anfangs eine wilde Zeit ihrer Geburt mit Zusammenstößen vieler kleiner Protoplaneten und deren Zusammenschluss, mit Meteoriteneinschlägen und gewaltigem Vulkanismus. Nach dem streifenden Einschlag eines Protoplaneten ist der relativ große Erdmond entstanden, der die Erdachse gegen Einflüsse der anderen Planeten stabilisieren hilft und damit ein ausgeglicheneres Klima ermöglicht. Den Planeten Merkur muss ein besonders heftiger Schlag getroffen haben, denn von ihm blieb nur sein dichter eisenhaltiger Kern übrig. Nach 600 Millionen Jahren hatten sich die Umlaufbahnen im Sonnensystem eingespielt und eine ruhigere Zeit ohne ständige Kollisionen und Beschuss begann. Der Gravitation der Erde ist es zunächst nur begrenzt möglich gewesen, eine Atmosphäre einschließlich Wasserdampf fest zu halten: Zu hohe Temperaturen und Sonnenwind verdrängen Gase in den Weltraum. Ältesten Gesteinen in Kanada wird ein Alter von 4,3 Milliarden Jahren zugeschrieben. Nach der Abkühlung der Oberfläche dürfte dann durch Ausgasung des heißen Magmas eine Atmosphäre (ohne freien Sauerstoff) angewachsen sein. Man nimmt an, dass es in einer Periode bis vor etwa 3,9 Milliarde Jahren zahlreiche Meteoriten- und Kometeneinschläge gegeben hat. Sie könnten unter den damaligen irdischen Bedingungen gasförmige Bestandteile aus den äußeren Bereichen des Sonnensystems auf die Erde gebracht haben. Wahrscheinlich gelangte auf diesem Weg auch zusätzliches Wasser auf die Erde, das auch mit 1 bis 2% im Ringwoodit des Erdmantels enthalten ist und durch Vulkanismus teilweise an die Oberfläche gelangt ist. Auch aus der 12262m tiefen Bohrung (SG3 auf Kola) weiß man, dass in nicht so tiefen Schichten der Erdkruste viel Wasser und sogar freier Wasserstoff vorhanden sind. Bis in 8km Tiefe leben Bakterien in ihren eigenen Ökosystemen und benötigen keinen freien Sauerstoff. Ihren Bedarf an Kohlenstoff (C) können sie mit Wasserstoff aus Carbonaten oder CO2 decken. Flüssiges Wasser ist offensichtlich essentiell für die Entstehung von Leben. Elementare Grundbestandteile von Leben - 80 verschiedene Aminosäuren - konnten auf Kometen nachgewiesen werden. Sogar bei der Nachbildung ihres Aufschlags auf die Erdoberfläche in einer Schussvorrichtung entstanden Aminosäuren während der großen Energiefreisetzung aus Gemischen ihrer elementaren Bestandteile. In den Lebensformen der Erde sind nur 20 unterschiedliche Aminosäuren enthalten. Auf einfachste Lebensformen von Zellen noch ohne Zellkern (Prokaryoten) könnten Kohlenstoffpünktchen in Sedimenten in Grönland hinweisen: 3,85 Milliarden Jahre alt. Und einmal entstandenes Leben kann extremophile Formen hervorbringen, die unwirtliche Bedingungen wie kosmische Strahlung, Kälte, Trockenheit überleben können. Bakterien überlebten im Weltraum außen an der ISS befestigt 18 Monate. Man kann deshalb nicht völlig ausschließen, dass einfache Lebensformen sich sogar über den Kosmos ausbreiten können. Kohlige Chondriten (spezielle Meteoriten) als Boten ferner Asteroiden enthalten neben Kohlenstoff (C) organische Verbindungen, aus denen sich vor 4 Milliarden Jahren auf der Erde frühe Lebensformen entwickelt haben können. Stromatolithen hinterließen 3,5 Milliarden Jahren alte Zeugnisse als sicheren Beweis für bakterielles Leben auf der Erde. Die Zeitdifferenz von wenigen 100 Millionen Jahren nach der Abkühlung der jungen Erde ist für die Entwicklung von so etwas komplexen wie dem Wunderwerk "Leben" nicht lang. Leben findet in einem komplexen Körper statt, der sich selbst erhalten und vor allem auch reproduzieren kann. Und es befindet sich typischerweise nicht in einem Gleichgewichtszustand, immer in einem Energie verbrauchenden Prozess. Energie in chemischer Form als Nahrung oder als Strahlung wie Licht wird verbraucht, um eben einem ausgeglichenen Gleichgewichtszustand zu entgehen, stets will sich Entropie auch in jedem Lebewesen vergrößern. Mangelt es an Energiezufuhr, hat das Leben Ruhezustände erfunden auf bessere Zeiten zu warten. Die Reproduktion soll regulär ohne Änderung seiner Eigenschaften gelingen. Doch Mutationen finden statt und können im Ausnahmefall eine neue Variante hervorbringen, die selbst zur Reproduktion fähig ist. Jede einfache  Urform des Lebens benötigt bereits etwas sehr spezifisches: eine Erbsubstanz. Wie dieses urtümliche schon sehr komplexe Molekül ausgesehen hat, können wir nur vermuten. Eine vergleichsweise einfach aufgebaute und kurze RNA-Kette (Ribonukleinsäure) könnte diese Funktion erfüllt haben, erlaubt sie doch Information zu ihrem eigenen Aufbau zu speichern und die Wirkung eines Enzyms zum Kopieren (Replikase) zu entfalten. Im Labor ist mit wiederholten Trocknungs- und Befeuchtungsprozessen und elektrischer Entladung gelungen, Nukleinsäure zu erzeugen. Sie ist ja der elementare Bestandteil jeder RNA-Kette. Es scheint also möglich, dass sich Leben an verschiedenen Orten im Universum entwickeln konnte. Immerhin hat eine solche RNA-Molekülkette eine sehr spezifische Struktur, so dass die "Ursuppe" mit darin enthaltenen Ausgangsstoffen wohl lange im vulkanisch geheizten Tümpel, einer heißen Quelle oder der Kapillare einer Felspore, der Tiefsee mit black smokern ohne freien Sauerstoff köcheln musste, ehe der Zufall erfolgreich war: Über die ersten Schritte zum Leben können wir nur spekulieren, auf kohlige Chondrite im Zusammenhang mit der Panspermie-Hypothese wurde schon hingewiesen. Wenn man Experimenten von Lee Cronin mit fetthaltigen Membranen Glauben schenkt, wäre die Entwicklung von Leben jedenfalls unausweichlich. Ein "geschützter Raum" etwa eine Gesteinspore könnte hilfreich gewesen sein, erste unbelebte aber strukturierte und beständige Vesikel aus im Wasser gelösten Peptiden entstehen zu lassen als früheste Vorstufe von Zellen anfangs noch ohne Merkmale wie Wachstum und Vermehrung. Anstelle von Sauerstoff und Kohlenwasserstoffen könnten Wasserstoff und Kohlendioxid oder Schwefel und Methan zur Energiegewinnung gedient haben. Bakterien mit derartigem Stoffwechsel existieren noch heute in tieferen Erdschichten oder Schwarzen Rauchern - black smokers (hydrothermale Schlote). Der Reproduktionsvorgang war wahrscheinlich langwierig, da nur das umgebende Wasser mit darin befindlichen Bestandteilen als Ressource dienen konnte, doch erst einmal entstanden konnte eine reproduktionsfähige Lebensform sich konkurrenzlos verbreiten. Die später erfundene membranartige Abgrenzung zur Umwelt war wahrscheinlich anfangs noch durchlässig, so dass ein "Genaustausch" zwischen frühen Lebensformen (Prokaryonten) wie Archaeen und Bakterien etwa frühen Clostridien direkt möglich gewesen sein kann (horizontaler Gentransfer ohne Generationswechsel). Noch heute können ringförmige RNA-Strukturen - Plasmide - über Vesikel in der Membran von Bakterien oder anderen Archaeen von Zelle zu Zelle gelangen, also einen Genaustausch ermöglichen. Auffällig ist die Vorliebe von Archaeen für extreme Lebensräume, die ja in der Frühzeit die Erde typisch gewesen sind, sie fühlen sich wohl bei Temperaturen über 100°C - man denke an black smoker - oder hohe Salz- oder Säurekonzentrationen (etwa Sulfolobus alcidocaldarius liebt vulkanische Schwefelquellen). Stromatolithen - Vergesellschaftungen von Cyanobakterien wie im Bild links unten - sind bereits in 3,5 Milliarden Jahre alten Fossilien nachgewiesen und diese Lebensform gibt es immer noch. Mit ihrer Fähigkeit der Photosynthese begannen sie im Meer freien Sauerstoff zu erzeugen. Darin gelöstes Eisen wurde oxidiert und hat sich abgelagert. Vor 2,4 Milliarden Jahren begann die Sauerstoffproduktion den ganzen Planeten zu verändern. Am Ende war der Ozean mit Sauerstoff gesättigt und vor 800 Millionen Jahren wurde er in großem Umfang an die zuvor sauerstoffarme Atmosphäre abgegeben.

Wie Fossilien beweisen gelang der Evolution vor 1,6 Milliarden Jahren ein sehr bedeutsamer revolutionärer Schritt zu ersten Lebensformen mit Zellkern (Eukaryonten), aus denen sich später alle höheren Lebewesen entwickelt haben. Solche eukariotische Lebensformen zeichnen sich neben dem Zellkern durch Organellen aus, die ebenfalls durch Membranen vom Zellplasma getrennt sind und eigene ringförmige DNA (wie bei Bakterien) aufweisen: Mitochondrien. Es wird deshalb vermutet, dass sie aus symbyotischer Gemeinschaft inkorporiert wurden und ein Teil ihrer DNA schließlich auch in die DNA des Zellkerns eingefügt wurde. Es wird vermutet, dass Leben auf der Erde habe extreme Situationem wie das große Meteoritenbombardement (Hadaikum) in Nischen überleben können. Man vermutet auch, dass die RNA (Ribonukleinsäure) als Vorstufe zur DNA im urzeitlichen Leben (Ribozyten) gedient haben kann. RNA ist zudem etwas resistenter als DNA gegen zerstörerisch wirkende UV-Strahlung.

Von frühesten Lebensformen an hat das darwinsche Prinzip von Konkurrenz und Auslese gewirkt: Egoismus, die Ressourcen der Umwelt auszunutzen zur Reproduktion und Erhaltung des eigenen Lebens. "Meine Erbsubstanz zu schützen und zu vermehren ist das wichtigste Ziel, die Umwelt darf ausgebeutet werden und alles unterliegt der Konkurrenz"; das Leben vergibt keine Fehler und verurteilt den Erfolglosen in diesem Sinn. Mit diesem ererbten darwinschen Prinzip des Lebens müssen wir uns als menschliche Gesellschaft heute mehr denn je auseinandersetzen, denn überschrittene Grenzen des Wachstums bestraft die Natur auch. Uns Menschen hat die Evolution jedoch auch einen Schatz geschenkt, hat uns auch mit dem Gegenteil von Egoismus ausgestattet: Altruismus fördert das Ansehen in der Gruppe, nützt schließlich dem Individuum selbst mehr. Ansatzweise wird solches Verhalten schon bei wild lebenden Schimpansen beobachtet, etwa bei der Adoption elternloser Babys. Darwins Prinzip von Mutation und Auslese hat die Evolution im weitem Verlauf begleitet und bedeutet: Es wird nicht geplant oder eingegriffen, das "Höhere" wird von selbst aus dem "Niedrigeren". Vom Beginn des Lebens war ein weiter Weg zurückzulegen, bis nach ersten Bakterien schließlich die komplexe Wunderwelt einer Zelle - mit Zellkern und Organellen wie Ribosomen, Mitochondrien, Lysosome oder Chloroplasten - entstanden war (Eukaryonten). Die Organellen dieser komplexen Zellen - so vermutet man - stammt von inkorporierten Bakterien, die zuvor symbiotisch mit prokaryotischen Zellen gelebt hatten. Die vielfältigen Funktionen der Proteine in den Zellen sind eine Aufgabe für Generationen von Forschern. Leider kommen fehlerhafte Faltungen dieser komplexen Moleküle - bei bei identischer Summenformel - vor. Solche Amyloidosen können Erkrankungen bewirken, die derzeit häufig nur symptomatisch behandelt werden können.

Drei Milliarden Jahre lang existierten nur Einzeller im Meer. Darunter wurden vor 2,3 Milliarden Jahren Cyanobakterien immer aktiver, die über Photosynthese freien Sauerstoff erzeugen. Im Ozean wurde zunächst darin gelöstes Eisen oxidiert und ausgefällt bis schließlich Sauerstoff an die Atmosphäre abgegeben wurde. Freier Sauerstoff hätte Leben in seinen frühesten Entstehungsformen vermutlich zerstört und in der später sauerstoffhaltigen Umgebung haben frühe Arten nicht überlebt. Sie werden Sauerstoff als giftige Umweltverschmutzung empfunden haben. Methanogene Bakterien waren vermutlich die frühesten Lebensformen auf der Erde. Der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre kletterte zeitweise auf 30% bis er sich schließlich auf dem heutigen Wert von 21% stabilisierte.

So erstaunlich schnell einfachste Lebensformen entstanden waren, benötigte die Evolution doch eine sehr lange Zeit, bis schließlich erst vor 1,6 Milliarden Jahren komplexe eukariotische Zellen mit Zellkern entstanden waren. Zuvor hatten es einfache Lebensformen geschafft, jeweils eine Nische zum Überleben zu finden, wenn Umweltbedingungen sich extrem verschlechterten: in der Hitze nach Meteoriteneinschlägen, in Zeiten der fast vollständigen Vereisung der Erdoberfläche (was beginnen kann als Folge der Photosynthese aus dem CO2 der Atmosphäre und ansteigendem O2-Gehalt und schließlich mit dem hohen Albedo des Eises sich selbst verstärkend). Die Evolution erreichte schließlich in den letzten 600 Millionen Jahren einen Durchbruch, ein Feuerwerk von "Versuchen und Ideen". Die Plattentektonik scheint vorteilhaft zu sein für eine Stabilisierung des Klimas auf der Erde, ein auf dem Mars fehlender Umstand. Nach dem Ende der Vereisungsperiode vor 635 Millionen Jahren gelang der Evolution die Ediakara-Fauna, eine vielfältige mehrzellige Tierwelt, die sich zunächst von späteren kambrischen Lebensformen unterschied. Die Möglichkeit zu großen mehrzelligen Tieren und Pflanzen folgt offenbar einem größeren Anteil von Sauerstoff in der Atmosphäre und schließlich der Ausbreitung von Pflanzen auch auf dem Festland. Höhere Lebensformen wurden möglich, die Kollagene synthetisieren konnten. In rascher Folge entwickelten sich viele Arten (die kambrische Artenexplosion begann vor 540Mio. Jahren). Am Ende fast jeder der folgenden Erdzeitalter gab es biochemische oder klimatische Einschnitte mit der Folge einer hohen Artentodquote mit Verlust von bis zu 95% der Biomasse. Das geschah jeweils am Ende der so bezeichneten Erdzeitalter. Doch letztlich waren überlebende Arten jeweils erfolgreich und das Leben bestand diese Prüfungen erfolgreich. Die Klasse der Säugetiere hat sich im Jura (vor mindestens 160 Mio. Jahren entwickelt) und verbreitete sich dann nach dem Aussterben der Saurier vor 65 Millionen Jahren, darunter Primaten (Affen). Ein Beispiel dafür ist das Äffchen "Ida", welches vor 47 Millionen Jahren lebte und in der Grube Messel bei Darmstadt gefunden wurde. Ihre Lebensweise als Baumbewohner garantierte relative Sicherheit. Vor 13 Millionen Jahren lebte in Katalonien der Pierolapithecus, ein Affe der sich aufrichten konnte und vermutlich auf dicken Ästen auch laufen konnte. Er wird als gemeinsamer Vorfahre von Mensch und Schimpanse angesehen. Ein Affe mit der Fähigkeit zum aufrechten Gang - was einen Meilenstein in der Evolution zum Menschen darstellt - wird dem Danuvius guggenmosi zugeschrieben, der vor 12 Millionen Jahren im jetzigen Deutschland lebte. Zu dieser Zeit war die durchschnittliche Temperatur 10K wärmer als jetzt. Noch streiten Wissenschaftler, wo die Entwicklungslinien der Vorfahren der Gattung Homo sich von der der Schimpansen und Bonobos getrennt haben: in Europa oder in Afrika. Denn Funde sind rar und unvollständig, ihr Auffinden von vielen Zufällen und Umständen abhängig. Spätestens vor 6 Millionen Jahren jedenfalls trennte sich die Entwicklungslinie unserer Vorfahren (Hominini) von der der Schimpansen. Die Lage des Hinterhauptlochs eines Schädelfundes (Sahelanthropus Tschadensis, "Sahel Toumai" lebte vor 7 Millionen Jahren) belegt auch für ihn einen aufrechten Gang. In Afrika und Südeuropa lebten zahlreiche Varianten von Affen (Graecopithecus, Sahelanthropus, Orrorin tugenensis, Australopithecus afarensis..."Lucy" und ein Dikika Kind) mit einzelnen menschenähnlichen Eigenschaften, die sich vielleicht vermischt haben und einen buschartigen "Stammbaum" mit vielen ausgestorbenen Varianten vermuten lassen. Auf Kreta (bei Trachilos) sind 5,7 Millionen Jahre alte Fußabdrücke gefunden worden - menschenähnlich für einen aufrechten Gang und nicht mit rechtwinklig abgespreizter Großzehe wie sie Schimpansen zum Klettern befähigt. Letztlich brachte die Evolution vor ungefähr 2,6 Millionen Jahren Hominiden hervor mit deutlicher Ähnlichkeit zum heutigen Menschen, die den Begriff Homo, also Mensch, rechtfertigt (Homo rudolfensis, Homo habilis). Über einige Zwischenstufen (Homo ergaster, Homo erectus, Homo heidelbergensis, Homo neandertalis) können wir fortschreitend engere Verwandtschaft mit uns - dem Homo sapiens - feststellen. Der Australopthecus sediba begann spätestens vor 2,6 Millionen Jahren Steine als Werkzeuge zu nutzen. Der Homo erectus konnte ab dieser Zeit Steinwerkzeuge einseitig (Chopper) bearbeiten und stellte später ab 1,75 Mio Jahren beidseitig perfekt bearbeitete Faustkeile her. Die zielgerichtete und geplante Herstellung von Werkzeugen ist eines der Alleinstellungsmerkmale der Gattung Homo, keiner anderen Art auch wenn diese natürliche "Werkzeuge" nutzen. Dafür hat Homo erectus bereits eine "Industrie" zur massenhaften Herstellung von Steinwerkzeugen betrieben wie geologische Aufschlüsse auf der arabischen Halbinsel beweisen. In den letzten 2 Millionen Jahren lebten ausgestorbene Verwandte gleichzeitig neben unseren Vorfahren, also unserer Entwicklungslinie wie Homo erectus, Homo habilis oder Homo heidelbergensis, Homo sediba, Homo neanderthalensis, Homo naledi ... Vermischungen des Genpools werden angenommen, so dass es vermutlich keine lineare Entwicklung als Stammbaum des Homo sapiens gab. Die Hybridisierung verschiedener Menschenarten hat gewiss Vorteile für die Fitness gegenüber Bakterien (über das HLA-System) und klimatischem Stress. So finden wir noch heute Anteile zwischen 1 bis 3% des Neandertalers im Genom lebender Menschen, regional unterschiedlich in Europa und Asien nicht jedoch in Afrika. Den höchsten Anteil von DNA des Neandertalers im Genom heute lebender Menschen wurde in der Toscana gefunden, ein Beleg dort häufiger erfolgter Kreuzungen mit erfolgreichen Nachkommen. Der Denisova-Mensch aus dem Altai-Gebirge weist im Genom Gemeinsamkeiten mit jetzt in Tibet und in Australien lebenden Menschen mit bis zu 5% auf. Schließlich - spätestens vor 300.000 Jahren - trat unsere Art der Homo sapiens auf. Wie Funde in Marokko zeigen (die Fossilien von Djebel Irhoud sind 300 000 Jahre alt) waren die Schädel etwas länglicher, doch hat sich unsere Art seitdem nicht grundsätzlich verändert. Da auch in Europa fossile Knochen des Homo sapiens gefunden wurden wird spekuliert, er könne sich in einer klimatisch günstigen Periode vielleicht sogar in Südeuropa entwickelt und sich auch von hier ausgebreitet haben. Die Sahara war jedenfalls während der Eiszeit periodenweise grün und zeitweise kein Hindernis für Wanderungen. Man geht davon aus, dass der frühe homo sapiens in ganz Afrika verbreitet war auch wenn das noch nicht mit Fossilien belegt ist. Und da Gene des Neandertalers nicht Afrika zu finden sind, war seine Verbreitung auf Europa und Asien begrenzt. Die Verbreitung des Hobbits von der indonesischen Insel Flores blieb offenbar auf die Insel beschränkt. Fossilien des frühen homo sapiens sind jedenfalls sehr rar - auch weil die Populationen der Jäger und Sammler jeweils sehr klein gewesen sein dürften. Wir haben nur eine grobe Vorstellung von der Entwicklung, der buschförmig gedachten Abstammungslinien mit genetischer Wechselwirkung zwischen ihnen, deren Ergebnis letztlich der Homo sapiens war. Wir können seine Spuren und Ausbreitung von Afrika und Europa über fast alle Kontinente, auch die Anpassung seiner Rassen und Ethnien an unterschiedlichste Umweltbedingungen verfolgen, die in den letzten 50000 Jahren erfolgt ist. Der Genpool der heutigen Ethnien weist Unterschiede immerhin von 0,5% auf.. Wichtig für das Überleben eines Individuums war besonders sein Hörsinn, um sich nähernde Fressfeinde rechtzeitig bemerken zu können. Die Evolution hat dafür ein Meisterwerk aus vielen zusammenspielenden Komponenten geschaffen, um die Richtung und Entfernung von Geräuschen im Gehirn darzustellen mit einer hohen Zeitauflösung bis zu einer Millisekunde.

Dass die Evolution des Lebens diesen Weg bis zum Menschen genommen hat, ist sehr von sich ändernden Umweltbedingungen geprägt und die wurden wiederum durch die Lebensformen mit beeinflusst. Rasche Umweltveränderungen beantwortet die Evolution mit "Entwicklung" und Anpassung der Art durch Auslese oder ihrem Aussterben. Seit Johann Carl Fuhlrott, Charles Darwin und Alfred Russel Wallace ahnen wir, der Mensch ist keine abgehobene Sonderanfertigung Gottes, er ist nur eine unvollständige Zwischenstufe auf dem Weg der Evolution oder ein Auslaufmodell - erst in der Zukunft entscheidet sich das. Der Mensch ist nur eine Episode auf dem Entwicklungsweg des Lebens und niemand hat genug Phantasie zu sagen, wohin diese Reise noch führen wird. Der denkende Mensch immerhin, fähig zu Empathie und komplexen technischen Erfindungen, erscheint uns als bisheriger Höhepunkt der Evolution des Lebens, doch die Entwicklung bleibt nicht stehen. Gerade jetzt geschieht etwas Erstaunliches: Der homo sapiens greift nach dem Schlüssel, die Evolution nach neuen Regeln mit der Manipulation fremder und auch seiner eigenen Gene selbstbestimmt voranzubringen. Das ist ein Meilenstein in der Entwicklung des Lebens. Die Evolution des Menschen ist an einem Scheideweg angelangt. Bisher sorgte das darwinsche Prinzip der Auslese - früher Tod vor der Reproduktion/Fortpflanzung - für die Optimierung der Art. Die Entwicklung von Medizin und Pharmakologie verhindert das heute. Stattdessen wirken verstärkt bei der Reproduktion kulturell und sexuell geprägte Auswahlkriterien. Der Genaustausch erweitert sich durch die Globalisierung und die Zahl der Mutationen steigt mit der Zahl der Menschen, der Genpool wird umfangreicher, enthält dann auch Individuen mit "verbesserten" Eigenschaften. Dennoch kann spekuliert werden, dies trage nur mit 1bit/Jahr zur "Verbesserung" des menschlichen Genoms bei. Eine abweichende Art "Mensch" könnte durch Anpassung an einen isolierten Standort mit abweichenden Umweltanforderungen künftig wohl eher nicht auf der Erde, vielleicht auf dem Mars oder einem Exoplaneten entstehen.

Einen ungewohnten Einblick in das Innenleben des "denkenden Menschen" gewähren uns Gunther von Hagen's Plastinate.

 © Gunther von Hagens, Körperwelten

Am Meeresgrund hat man lokale Ökosysteme mit jeweils vielen Arten entdeckt, die uns sehr fremdartig anmuten: Sie kommen ohne Photosynthese - also ohne Licht - aus, indem sie ihre Energie aus der Oxydation von Sulfiden und von Methan gewinnen, die der Meeresboden abgibt. Allerdings scheinen sie mittelbar doch von der Sonne und der Existenz von Algen und Pflanzen an der Oberfläche abhängig zu sein, da sie dazu Sauerstoff benötigen. Freier Sauerstoff scheint ein Schlüsselelement zumindest für höhere Lebensformen zu sein. Seine Anwesenheit in der Atmosphäre eines fernen Planeten könnte dort auf solches Leben hinweisen. Neben dem Prinzip der genetischen Mutation mit nachfolgender Auslese hat sich ein zweites Prinzip bei vielen höheren Lebewesen trotz mehr Aufwand und Risiken durchgesetzt: die geschlechtliche Vermehrung. Bei ihr werden die in den Zellkernen vorhandenen Chromosomenpaare mit den Erbinformationen (Diploidie, abgesehen vom männlichen Geschlechtschromosom) bei der Bildung der Keimzellen (Meiose) in einem komplexen Ablauf letztlich in einzelne Chromosomen von Vater oder Mutter geteilt. Daraus und wegen der dabei noch möglichen chromosomalen Überkreuzung (crossing-over, dem Austausch von Abschnitten zwischen den beiden Chromatiden) folgt eine ungeahnte genetische Vielfalt bei der Vererbung, auch weil alle bei den Eltern noch rezessiven Merkmale im Keim (Zygote) Bedeutung erlangen können. Allein dies bewirkt rechnerisch, dass Kinder ein und desselben menschlichen Elternpaars die gewaltige Zahl von 7*1013 unterschiedlichen Genkombinationen aufweisen können. Diese rechnerische Variantenvielfalt von Geschwistern wird noch größer, wenn als Folge von Überkreuzungen Chromosomen bei der meiotischen Teilung in Abschnitte zerbrechen und nachfolgend eine neue Ordnung innerhalb der Gene entsteht (Rekombination). Ferner befinden sich DNA-Abschnitte ohne kodierte Informationen (Introns, intervening regions) in der DNA vieler Lebewesen, die bei der Transkription während der Zellteilung herausgelöst werden und so zu einer anderen Reihenfolge benachbarter Information tragender Abschnitte (Exons, expressed regions) führen können. Die geschlechtliche Fortpflanzung ist vorteilhaft, weil Genabschnitte vom Vater und Mutter sich abschnittweise mischen können und so resiliente Nachkommen entstehen können, die etwa gegen Bakterien und Viren widerstandsfähiger sind. Der Evolution stehen deshalb und dies besonders bei der geschlechtlichen Vermehrung sehr viele genetische Kombinationsmöglichkeiten zur Verfügung, um Individuen (Phänotypen) einer Art mit der bestmöglichen Fitness zu erzielen. Und eine andere Qualität bereichert noch die Regeln der Evolution: subjektiv als schön empfundene Merkmale - sogar unpraktische - beeinflussen die Partnerwahl, bestimmen wer sich fortpflanzt. Dass die Evolution nicht immer den einfachsten und besten Weg findet zeigt sich an DNA-Abschnitten, die sich sozusagen parasitär selbst kopieren können, den so genannten Transposons. Diese machen bei vielen Lebewesen einen Teil des gesamten Genoms aus, beim Mais sogar 85%. Auch beim Menschen wurden mehrere Transposons entdeckt. So findet sich das LINE-1-Element 500000 fach im menschlichen Erbgut und bestimmt allein schon 17% des Genoms. Dabei kann es selbst von Mutationen betroffen werden und ist danach meist unfähig, sich  selbst zu kopieren und in die DNA einzufügen. Doch immerhin noch 100 solcher LINE-1-Abschnitte scheinen noch aktiv zu sein.

Wenn wir höhere Lebensformen mit Gehirn betrachten, kommt eine Komponente hinzu: Die lernfähigsten Individuen passen ihr Verhalten am schnellsten veränderten Umweltbedingungen an. Denn wir wissen ja, die Umwelt verändert sich durch zahllose Faktoren beeinflusst ständig. Auch der Mensch hat sich deshalb nicht wirklich zielstrebig entwickeln können, eher in einer durch viele Zufälle beeinflussten Erfolgsgeschichte. Mühsam werden Zähne im südlichen Balkan und fossile Knochenreste unserer Ahnen der afrikanischen Erde abgerungen und es sind viel zu wenige, als dass sich aus ihnen alle Fragen der menschlichen Evolution beantworten ließen.

      © Senckenberg Naturhistorische Sammlungen

Nach den Ursachen dieser oder jener Entwicklung gefragt, bleibt vieles Spekulation wie etwa die Hypothesen, weshalb der Mensch abweichend von den anderen Säugetieren den aufrechten Gang angenommen hat. Graecopithecus freybergi lebte vor 7,2 Millionen Jahren auf dem südlichen Balkan (und man fand 5,7 Millionen Jahre alte Fußspuren auf Kreta, wobei die Inseln damals Landverbindung hatten), Sahelanthropus tschadensis vor 6,5 Millionen Jahren und lief anscheinend auf zwei Beinen, auch Orrorin ging vor 6 Millionen Jahren aufrecht. 5,7 Millionen Jahre alte Fußabdrücke beim Dorf Trachilos auf Kreta belegen eine menschenähnliche Anatomie und einen aufrechten Gang ebenso wie auch spätere (3,5 Millionen Jahre alte) Abdrücke den aufrechten Gang beweisen. Haben verlockende Früchte unsere Vorfahren an ein Stehen auf zwei Beinen verleitet oder liebten sie wie wir ein Leben im und am Wasser? Muscheln oder Fische am Ufer finden und den Kopf oben über Wasser behalten oder mussten sie sich aus den Baumwipfeln des Regenwaldes an ein trockeneres Klima mit lichtem Baumbestand, an die Savannen Afrikas anpassen, an ein Leben auf dem Erdboden? Eine aufrechte Haltung bietet verschiedene Vorteile, etwa einen besseren Überblick über hohes Gras oder sich nähernde Krokodile am Flussufer. Nur wenn man nicht gefressen worden war und genug Nahrung gefunden hatte, konnte man sich fortpflanzen. Die Hände wurden frei für die Benutzung von Werkzeugen und die besondere Lage des Daumens erlaubte ihre vielseitige Nutzung. Bearbeitete Steinwerkzeuge sind in 2,5 Millionen Jahre alten Schichten gefunden worden. Ich vermute, auch Werkzeuge und Waffen aus Holz besitzen eine lange Tradition, leider sind sie vergänglicher und nicht erhalten. Reste von 400000 Jahre alten Wurfspeeren belegen hervorragende Flugeigenschaften (Schöningen). Die zunehmende Nutzung vielseitiger Werkzeuge und von Jagdwaffen war nicht nur kulturell bedeutend, hatte auch Folgen für das Gehirn und sein Volumen: Werkzeuge und Jagdwaffen herstellen und erfolgreich gebrauchen erfordert vielfältigere Steuerungsabläufe und fördert die Bildung einer (zunächst einfachen) Sprache. Dazu gehört auch die Herstellung von Werkzeugen zur Bearbeitung anderer Werkzeuge. Fleisch als Nahrungsbestandteil kann die Entwicklung gefördert haben, wie auch die Akzeptanz, das Auffinden, Sammeln und Zubereiten vielseitiger Nahrung ("Allesfresser") und die Zubereitung der Nahrung durch Kochen. In Ansätzen können solche Verhaltensmuster schon bei höher entwickelten Tieren wie Elefanten, Schimpansen oder Krähen beobachtet werden. Homo erectus hatte seinen Lebensraum nach Eurasien erweitert und vermutlich seit 1,7 Millionen Jahren die Unterhaltung von Feuer beherrscht, also das Hüten von Lagerfeuer. Durch die Zubereitung ("Kochen") konnte Nahrung viel effektiv aufgeschlossen und leichter verdaut sowie gefährdende Keime getötet werden. Und Lagerfeuer vermittelt in der Nacht Schutz, ist uns sozusagen über die Zeit lieb geblieben. Und Kost von erjagten Tieren war Voraussetzung den Energiebedarf eines größeren Gehirns decken zu können. Forschern um Wieland Huttner wie Michael Heide gelang der Nachweis von 15 Genen, die mit der fortschreitenden Entwicklung eines größeren und gefalteten Gehirns beim Menschen zusammenhängen. Speziell der Nachweis des Gens ARHGAP11B als Folge einer Punkt-Mutation von ARHGAP11A - also ein segensreicher Zufall vor etwa 1,5 Millionen Jahren - hat dem homo erectus ein leistungsfähigeres Gehirn geschenkt. Und das erweist sich als das heraus stechende Alleinstellungsmerkmal des Menschen.

Das Leben in einer Gruppe konnte mit einer sich entwickelnden Kommunikation immer erfolgreicher gestaltet werden, hat wesentliche Verhaltenseigenschaften geprägt. Anfänge einer Sprache als wichtiges Hilfsmittel einer symbolischen Kommunikation vermutet man vor 2,6 Millionen Jahren etwa in einer Zeit, die wir mit dem Auftreten der Gattung Homo verbinden. Spätestens mit dem Auftreten des Homo sapiens vor 300.000 Jahren wird die Verständigung mittels einer komplexen Sprache möglich gewesen sein. Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Fähigkeit zu sprechen und dem FOX P2-Gen im 7. Chromosom der Erbsubstanz. Ein ausreichend großes Gehirnvolumen bzw. eine große innere Oberfläche scheint eine der Voraussetzungen für solche kognitiven Fähigkeiten zu sein. Dies war schon einige 100.000 Jahre lang - sogar beim Neandertaler - erfüllt, der sich von unseren gemeinsamen Vorfahren vor 700000 Jahren getrennt hatte. Inzwischen wird Neandertalern Fähigkeiten wie Zuwendung und Fürsorge für Kranke Gruppenmitglieder und Anfänge einer Begräbniskultur und künstlerischer Aktivitäten bei Höhlenmalereien und Abstraktionsfähigkeit zugeschrieben. Man nimmt an, dass der Neandertaler über eine Zeit von einigen !00 000 Jahren allen in Europa gelebt hat. Die Jagd in Gruppen erfordert kognitive Fähigkeiten (ist ja auch bei Schimpansen, Walen und vielen anderen Tieren schon entwickelt). Es erstaunt eher, dass erst vor 50.000 Jahren eine beschleunigte Entwicklung von Werkzeugen, von know how, einer Begräbniskultur und letztlich vor 35.000 Jahren auch der Malerei und bildenden Kunst eingesetzt hat. Die verschiedenen Figuren aus Mammutelfenbein - gefunden in Höhlen der Schwäbischen Alp - zeigen mit ihrem Alter von 40.000 Jahren Können, Phantasie und Abstraktionsvermögen der Künstler. 32.000 Jahre alte Höhlenmalereien in Spanien zeugen von künstlerischer Reife etwa der perspektivischen Darstellung von Tieren und von Phantasiegestalten, zugänglich nur mit künstlichem Licht. Das Erzeugen von Feuer - nicht nur seine Unterhaltung - gelang nun. Lernprozesse lieben Kopierfunktionen, neue Kreationen brauchen mehr Zeit, Feuer anzünden zu können war neu. Die Erfindung der Nähnadel mit Öhr erlaubte, der letzten Eiszeit zu trotzen. Der zeitweilige - in kälteren Klimazonen vielleicht auch dauerhafte - Aufenthalt in Höhlen bot den Menschen Schutz vor Unwetter und wilden Tieren, einen sicheren Schlafplatz, klimatische Stabilität. Höhlenbewohner sind wir Menschen bist heute geblieben. Wir lieben unsere "vier Wände" und errichten künstlichen Höhlen inzwischen bestens klimatisiert auf allen Kontinenten, nun auch in den Tropen. Nach dem Ende der letzten Eiszeit in einer klimatisch günstigen Zeit begann ein tiefgreifender Wandel in der Lebensweise: Sammler und Jäger wurden von Ackerbauern und Viehzüchtern verdrängt. Prinzipien der Auslese und Züchtung von Pflanzen und Nutztieren wurden entdeckt. Und die dem Menschen angeborene Neugier wurde zum wichtigen Antrieb der Entwicklung seiner Zivilisation. Aufwändige Häuser aus Stein wurden sinnvoll bei einer sesshaften Lebensweise. Dazu passt eine Genmutation, die die Verdauung von Stärke aus Feldfrüchten verbesserte (AMY1-Amylase-Gen) oder eine, die vor 10.000 Jahren die Laktosetoleranz von 90% der Europäer bewirkt hat, eben seit sie über Milch von Nutztieren verfügen konnten. Bezeugt sind aufwendigen Bauwerke seit 12.000 Jahren (Göbekli Tepe), erste größere dauerhaft bewohnte Siedlungen entstanden wohl bald danach, die Brenntechnik für keramische Erzeugnisse entwickelte sich und erste Getreidesorten wurden angebaut, vielleicht auch vergoren, um berauschendes Getränk herzustellen. Viele weitere Schritte waren wichtig für die Entwicklung der menschlichen Zivilisation, etwa die Metallherstellung (Kupfer ab dem 6. Jahrtausend vor Christus ist verbunden mit einer stärkeren Differenzierung der Gesellschaft) und die Erfindung der Schrift. Sie war für die Verwaltung in städtischen Siedlungen (Uruk mit bis zu 50000 Bewohnern, als Stadt beginnend 4000 vor unserer Zeitrechnung) erforderlich und diente später auch der Kunst (Gilgamesch Epos). Wesentlich für die Entwicklung zum heutigen Menschen war sein Leben in der Gruppe. Die Wissensbasis - vermittelt durch Sprache - war immer in einer Gruppe von Menschen beheimatet. Und Kommunikation zwischen ihren Mitgliedern hat Empathie, Altruismus und Kooperationsbereitschaft  stärken können. Ein Meilenstein war die Erfindung der Schriftsprache. Seit 200 Jahren beschleunigen Wissenschaft und Technologie den Wandel zu einer technisierten wissensbasierten Zivilisation. Große Teile unserer Wissensbasis befinden sich nun in digitalen Speichern, Information ist global zugänglich, Wissen verbreitet sich schneller denn je. Wachsende Produktivkräfte schaffen zudem Voraussetzungen, mehr Kenntnisse erlangen und auch effektiv nutzen zu können. Informationen werden nun nicht nur in DNA gespeichert, elektronisch und in Büchern gespeichertes Wissen ist 100000-fach umfangreicher und es wächst exponentiell - einschließlich von viel Müll. Kein Mensch kann dieses Quantum noch allein speichern, neues Wissen wächst schneller an als es gelesen oder verstanden werden könnte. Die Vernetzung im Internet entwickelt sich wie ein globales Gedächtnis. Einschließlich der vielen für die Entwicklung der Art sinn- und belanglosen Informationen übertreffen diese inzwischen den Inhalt des menschlichen Genoms (100 Millionen bits) um das 100-Tausendfache. Die Zukunft des "Wissens" ist kollektives Wissen, sozusagen Schwarmintelligenz.

Die Erbinformation des Menschen - sein Genom - ist in (fast) jedem seiner Zellkerne in 23 Chromosomenpaaren enthalten, die doppelten also diploiden Chromosomensätze stammen von Mutter und Vater. Jede genetische Eigenschaft bezeichnen wir als Gen, 23000 davon hat jeder Mensch. Nur die Keimzellen sind haploid, haben einen einfachen Chromosomensatz. Zusätzliche 13 (nach anderen Angaben bis 37) Gene mit entsprechend wenigen Basenpaaren befinden sich in den Mitochondrien, Zellbestandteilen außerhalb des Zellkerns für die Energieumwandlung. Mitochondrien bewirken die Umwandlung mit der Nahrung aufgenommener Energieträger in eine für den Zellstoffwechsel benötigten Energieträger (Adenosin-Triphosphat ATP). Die Desoxyribonucleinsäure (DNS oder DNA) der Mitochondrien (mtDNA) weist eine große Stabilität über viele Generationen auf. Man erklärt das damit, dass eine große ausgereifte Eizelle viel mehr Zellplasma mit Mitochondrien enthält als ein kleines Spermium, also mtDNA über die mütterliche Linie weitergegeben wird - ohne dass die "Karten entsprechend der geschlechtlichen Vermehrung jeweils neu gemischt werden" wie bei der DNA im Zellkern. Eine vergleichbare Situation liegt auch beim Y-Chromosom vor, das nur über die männliche Linie vererbt wird. Gene auf dem Y-Chromosom können deshalb nicht durch den Mechanismus der Rekombination "repariert" werden, vererben sich auf männliche Nachkommen. Will man Entwicklungsgeschichte aus Genen ablesen, eignen sich diese beiden Typen besonders. Jede Zelle enthält im Zellkern  jeweils 2 DNA-Originale (abgesehen von den Keimzellen) dagegen aber zahlreiche Mitochondrien als Organellen und deshalb viel mehr mtDNA.  Aus abgestorbenem oder fossilem Material - etwa Haaren oder fossilen Knochen - kann man deshalb häufig noch mtDNA oft jedoch keine Zellkern-DNA mehr gewinnen. Etwa 10% der Substanz des Menschen besteht aus Mitochondrien, die ihr Eigenleben bewart haben: Sie können sich in der Zelle bewegen und bei hohem Energiebedarf auch vermehren.

Die Erbinformation wird durch die Reihenfolge von nur 4 Bausteinen in der DNA kodiert, die sich durch je eine spezifische Phosphatase unterscheiden: Adenin und Thymin (A-T), Guanin und Cytosin (G-C) , die sich zu einer Doppelhelix anordnen und A stets gegenüber T  und G gegen C als Basenpaare gebunden auftreten (Modell im Bild rechts). Die Basen sind in der Helix mit 0,3nm Abstand locker aneinander gebunden - entsprechend der Größe von 3 Wasserstoffatomen. Das menschliche Genom enthält insgesamt 3,1 Milliarden dieser DNA-Bausteine, die etwa 20.000 Eigenschaften (Gene) kodieren. Sie ist 2m lang und nur 2nm breit, aufgewickelt um Histone, bilden sich kleine Komplexe von 10nm Breite. Nur ein kleiner Teil der DNA kodiert die Bauanleitung für Proteine (2%), der größte Teil hat regulatorische Funktionen und - was vielleicht zu wenig beachtet ist - anscheinend nutzlose DNA-Abschnitte können die Evolution beschleunigen: Sie warten darauf, nützlich zu werden - in Gene umgewandelt zu werden, wenn Umwelteinflüsse, Stress- oder Mangelsituationen nach Anpassung verlangen. An Mäusen konnte beobachtet werden, dass schon nach einigen Dutzend Generationen eine Anpassung des Genoms erfolgt war.

Bereits Viren enthalten bis 10.000 Bausteine und das einfache Chromosom des Coli-Bakteriums enthält 4,6 Millionen davon (rund 4500 Gene). Diese DNA-Bausteine kodieren auch die Erbinformation aller mehrzelligen Lebewesen auf der Erde. Die Evolution war in dieser Hinsicht konservativ: bewährte Gensequenzen blieben erhalten und wurden immer wieder kopiert. Das menschliche Genom etwa enthält 8% Virengene. So kommt es, dass viele Lebensformen nach den gleichen fundamentalen Grundprinzipien funktionieren, wobei "höhere" Lebensformen nicht eine größere Zahl von Basenpaaren besitzen müssen. Der Axolotl etwa besitzt 30 Milliarden Bausteine in seiner DNA - das 10-fache des Menschen - und Pflanzen können in ihrem bis zu 6-fachem Chromosomensatz mehr als 100 Milliarden Basen enthalten. Die Verdopplung eines Gens kann zu einer größeren Produktion eines Eiweißes in den Zellen sorgen, was wiederum die Form des betreffenden Organs beeinflussen, es vergrößern kann. Wir Menschen tragen viele identische DNA-Sequenzen wie die der Fruchtfliege Drosophila (mit 13500 Genen) in uns und unsere sehr verschieden erscheinenden "Funktionen" sind mehr miteinander verwandt als uns bewusst ist. Es ist bemerkenswert, dass ein identisches Gen für die Bildung von so etwas unterschiedlichem wie den Facettenaugen einer Fruchtfliege und den völlig anderen Augen einer Maus zuständig sein kann. Walter Gehring hat diese erstaunliche Tatsache durch das Ersetzen Pax 6 -Gens der Fruchtfliege durch das einer Maus beweisen können. Dieses Gen kodiert offenbar einen "Transkriptionsfaktor", ein Protein für den Start der Augenentwicklung, das dafür sorgt, welche anderen Gene zur Bildung des Organs ausgelesen werden sollen. Die Evolution hat für die gewaltige Vielfalt an Arten - die sich seit der "kambrischen Artenexplosion" innerhalb von 500 Millionen Jahren entwickelt hat - nicht stets neue DNA-Sequenzen für bestimmte Merkmale (Gene) hervorgebracht, sondern sie hat mit ein und dem selben Pool von Kodeinformationen tragenden DNA-Abschnitten (Exons) experimentiert und durch Kombinationen neue Eigenschaften erzeugt: sie hat das "alternative Spleißen" erfunden. Bei dem Kopiervorgang (Transkription) bei jeder Zellteilung wird die Doppelhelix der DNA im Zellkern mittels einer spezifischen RNA-Polymerase aufgeweitet und durch Anlagerung von im Zellkern schwimmenden Nukleotiden ein Stück eines Einzelstrangs eine mRNA (Messenger-RNA oder Boten-RNA) erzeugt. Die Polymerase läuft sozusagen als Motorprotein ein Stück die Doppelhelix entlang, kopiert von einem Startsignal beginnend einen Abschnitt eines der beiden aufgeweiteten Stränge der Doppelhelix der Erbinformation in jeder Zelle. Dieser Kopiervorgang gelingt der Polymerase extrem fehlerfrei. Unter günstigen Bedingungen - etwa wenn genügend Nukleotide verfügbar sind - kann sie in 100s 1600 Basen anlagern, bzw. an so viel Basenpaaren entlang laufen. Diese wunderbaren molekularen Spleißmaschinen -Polymerasen- sind sehr ähnlich bei allen jetzigen Lebensformen. Fünf Varianten wurden in Lebensformen vorkommend identifiziert, drei davon für alle Lebensformen mit Zellkern. Die mRNA verlässt den Zellkern und überbringt an die Ribosomen in jeder Zelle die Informationen zur Synthese eines Eiweißes (Translation). Für jedes dieser zahlreichen Proteine ist der Kode in einer DNA-Sequenz - einem Gen - enthalten. Die dafür zuständigen Gene - anscheinend nur ein Prozent des Erbguts - sind für alle Lebewesen ähnlich, somit nicht für Unterschiede einfacher Lebensformen zu höher entwickelten verantwortlich. Solche wesentlichen Unterschiede sind vielmehr in anderen DNA-Abschnitten - Kontrollgenen - kodiert, die regulatorische ncRNS erzeugen, sozusagen "Aufseher" über die Protein-kodierenden Gene. Sie entscheiden zu bestimmten Zeitpunkten wie sich während der frühen Embryonalentwicklung aus Zellhaufen von Stammzellen in einem fein abgestimmten Zusammenspiel von Wachstumshormonen und Botenstoffen Zellen differenzieren und Strukturen der späteren Organe ausbilden. Bei der Differenzierung der zunächst vorliegenden Stammzellen in organspezifische Zellen spielen Schlüsselproteine eine entscheidende Rolle, so dass nur bestimmte Abschnitte der in jeder Zelle vorliegenden gesamten Erbinformation abgelesen und benutzt werden. Letztlich bestimmen "Transkriptionsfaktoren" welcher Abschnitt der DNA geöffnet und mit Polymerase ausgelesen wird. Da jedoch in jeder Zelle das vollständige Genom vorliegt, ist es prinzipiell möglich, den Differenzierungsvorgang rückgängig zu machen und sie wieder in eine "induzierte pluripotente Stammzelle" (IPS) zu verwandeln. Dazu müssen 4 Gene eingeschaltet werden (Oct4, Brn4, Sox2, Klf4 und manchmal auch c-Myc).  Jede pluripotente Stammzelle kann letztlich wieder in alle organspezifischen Zellen verwandelt werden. Zellkulturen aus solchen Zellen sind für die Forschung wichtig und eröffnen künftig Ansatzpunkte zur Behandlung von erkrankten Organen und dies besonders auch für beim Menschen nicht teilungsfreudigen Zelltypen (wie Neuronen). Da diese "Organzüchtung" mit der eigenen DNA erfolgt, muss nicht gegen Abstoßungsreaktionen gekämpft werden. Befinden sich in der induzierten pluripotenten Stammzelle schon zu viele Gendefekte, kann daraus Krebs entstehen. In dem Fall hat die "mismatch repair-Funktion" versagt. Offenbar weniger problematisch zur Ergänzung eines erkrankten Organs sind multipotente Stammzellen. Sie können entstehen, wenn das Oct4-Gen durch Brn4 ersetzt wird. Aus solchen Vorläuferzellen können sich nur die verschiedenen Zelltypen eines Organs differenzieren.

 Die im Zellplasma schwimmenden Ribosome erzeugen zunächst quantitativ das zutreffende Protein. Aus diesem bildet sich als energetisch niedrigster Zustand automatisch die korrekte räumliche Struktur während der "Translation". Wie wichtig die Struktur korrekte Struktur eines Proteins sein kann zeigt sich bei Erkrankungen wie Morbus Alzheimer mit den Beta-Amyloid Ablagerungen im Gehirn, an deren Vermeidung intensiv geforscht wird.

Einen anderen Weg Gentechnik als Behandlungsmethode zu etablieren eröffnet sich bei Erkrankungen, wenn für normale Funktionen der Zelle benötigte Proteine wegen fehlerhafter Gene nicht gebildet werden können - etwa nach einem geerbten Genfehler.  Mit viralen "Genfähren" (nicht mehr vermehrungsfähigen Viren) gelingt es, ein fehlerfreies Gen in die Zellkerne zu schleusen. Dort muss es nicht in die Chromosomen eingebaut werden, seine Anwesenheit innerhalb der ringförmigen Gensubstanz des Virus genügt, um die Synthese des fehlenden Proteins und damit eine Heilung zu ermöglichen.

Für Transkriptionsfaktoren und Polymerase zugänglich sind nur Bereiche der DNA, die für den Ablesevorgang zugänglich sind - deren Wickelzustand um die Histone sie freigibt - und die nicht methyliert sind (an die keine Methylgruppen angelagert sind). Die Epigenetik untersucht die Wirkungen der Histone und der Methylgruppen auf die Transkription. Solche Merkmale sind nicht so stabil wie das Genom, können aber bei der Zellteilung erhalten bleiben und über die Keimzellen auch auf einige folgende Generationen übertragen werden: Dabei werden epigenetische Merkmale bei der Vereinigung von Ei- und Samenzelle neu gemischt und in den beiden Zellen spielt die vorhandene RNA mit. Die DNA im Zellkern der Stammzellen der Zygote sind offenbar zunächst frei ablesbar damit sich später daraus alle spezialisierten Organe bilden können. Erst im späteren Zellverband jedes Organs wird durch Umgebungssignale wirksam, welche Gene für die Funktion der Zelle auslesbar sein müssen. Denn in jeder Zelle aller Organe ist ja das vollständige DNA-Genom enthalten. Schon während der Entwicklung der Zygote können in bestimmten Zeitfenstern epigenetische Merkmale gespeichert werde abhängig etwa von der Ernährung, von traumatischen Ereignissen...

Nach dem Ablesen eines Gens (Transkription) können Abschnitte (Exons) der Boten-RNA aus dem kopierten Strang herausgeschnitten oder anders gruppiert werden, so dass nachfolgende Introns übersprungen oder in unterschiedlicher Folge in die mRNA integriert werden können. Dies ermöglicht beim Menschen aus 19.000 Genen mindestens 80.000 - vielleicht bis zu 400.000 - verschiedene Proteine zu erzeugen (Translation). Und die "Trockensubstanz" des Menschen besteht zu 50% aus diesen für jede seiner Zellen lebenspendenden Proteinen. Etwa 9000 Gene sind für den grundlegenden Stoffwechsel aller Zellen zuständig. Welche Exons eingefügt werden, wird vom Zeitpunkt der Entwicklung des Organismus und auch vom bereits existierenden umgebenden Gewebe beeinflusst. In jedem Zellkern aller Zellen ist zwar die vollständige 2m lange DNA-Helix - also das vollständige Genom - enthalten. Welche spezialisierte Zelle aus einer Stammzelle entsteht wird von einer komplexen Regulation bestimmt. An dieser Regulation beteiligen sich Zellen des umgebenden Gewebes mit Signal- und Zellaustauschproteinen. Das Proteom - die Proteinzusammensetzung - unterscheidet sich in jedem der 250 Zelltypen und wird von Faktoren wie Nahrung, Alter, Medikamenten ... beeinflusst.

Die vollständige DNA-Helix ist in jedem Zellkern aufgewickelt um Eiweißkörper (Histone) und insoweit für Zugriffe - auch das Auslesen (Genexpression) - nicht einfach zugänglich. Histone bestimmen wie fest die DNA aufgewickelt ist und können die Startsequenz markieren, bei der jeweils ein Gen beginnt. Sie spielen deshalb eine wichtige Rolle dabei, welches Gen ausgelesen werden kann und damit ob es in der jeweiligen Zelle eine aktive Rolle spielt oder inaktiv ist. Nur locker gelassene sozusagen sichtbare Stellen können abgelesen werden. Die Regulation von Genen ist ein aktuelles Forschungsthema, weshalb etwa durch Methylierung Gene inaktiviert werden können und weshalb ohne Veränderung der eigentlichen DNA Eigenschaften über mehrere Generationen epigenetisch erhalten bleiben können. Ich bin beeindruckt was ein Experiment mit Labormäusen ans Licht gebracht hat: Ein Männchen reagiert auf unangenehme Stromschläge, die es gleichzeitig mit einem speziellen Duftstoff erhält. Es lernt und reagiert dann schon auf den Duft ohne Stromschlag. Seine dann gezeugten Nachkommen reagieren auch so auf den Duft ohne dass das Weibchen oder sie selbst es hätten lernen können oder trainiert worden wären. Lernprozesse könnten so nicht erwartet mit vererbten Informationen verknüpft sein. Vorlieben oder (Ess-)Gewohnheiten unserer Eltern folgen wir vielleicht ohne es zu ahnen... Mäuse entwickelten Diabetes Typ 2, wenn ihnen zuviel zuckerhaltige Nahrung angeboten wurde, also ihr Gen zur Bildung von Insulin oft aktiviert war. Doch ihre Nachkommen entwickelten auch solche Krankheitszeichen.

Epigenetische Anpassungen sind somit ein kleveres Werkzeug der Evolution, das eine rasche Anpassung an Umweltsituationen, an Nahrungsangebot und an traumatische Ereignisse, auch an Verhalten und Lebensstil ermöglicht, viel rascher als Änderungen des Genoms möglich wären. Umgebungsbedingungen sind etwa Zelltypen unserer verschiedenen Organe. Obgleich alle unsere Zellen das gleiche vollständige Genom beherbergen werden in verschiedenen Organen jeweils unterschiedliche Gene ausgelesen, "exprimiert", wie gesagt hängt das von Histonen - dem Aufwickelzustand - und der Methylierung, dem durch Umgebungsfaktoren beeinflussten epigenetischen Zustand ab. Nicht zur Kodierung von Proteinen dienende Gene regulieren Lebensprozesse entscheidend in bestimmten Entwicklungsphasen. Eindrucksvoll zeigt sich das am Beispiel einer Raupe mit dem gleichen Genom des späteren Schmetterlings.

Mit vielen Millionen Mutationen - "Versuchen" am lebenden Organismus - hat die Natur jeweils geringe zufällige Veränderungen des Genoms getestet, die Evolution "würfelt", die DNA liebt das Glücksspiel. Die wenigsten Mutationen bewirken etwas, werden jedoch vererbt, wenn sie Keimzellen betreffen. Mit jeder neuen Generation rechnet man mit etwa 60 Mutationen und je mehr solcher Unterschiede im Bereich eines Gens beobachtet werden, desto früher ist diese Erbanlage evolutionär entstanden. Die Lebensfähigkeit der betroffenen Zelle kann beeinträchtigt sein, falls zentrale Teile des jeweiligen Gens betroffen sind. Andererseits betreffen die meisten Mutationen unbedeutende Randbereiche oder können im seltenen positiven Fall die Fitness im Sinn der Evolution verbessern. So wurden aus Afrikanern hellhäutige Typen, die im Norden mit wenig Sonnenlicht genüg Vitamin D bilden konnten und Europäer, die Laktasepersistenz mit der aufkommenden Milchwirtschaft aufwiesen...  Solche Entwicklungen laufen sozusagen unbemerkt im Hintergrund ab, schon nach 10 Generationen können leichte Veränderungen bemerkbar sein. Bei hoch entwickelten Lebewesen mit langem Vermehrungszyklus benötigt die Evolution Zeit, ehe sich schließlich eine neue Art mit wesentlich veränderten Eigenschaften herausbilden und durchsetzen kann. Nennen wir es "Halbwertszeit" für die Entwicklung einer solchen Art und setzen dafür 5.000 Generationen an (beim Menschen 100.000 Jahre). Immerhin hat die natürliche Evolution seit der Auswanderung des homo sapiens aus Afrika in den vergangenen 50000 Jahren zu Rassen und ethnischen Gruppen mit 0,5% unterschiedlichen Genen geführt. Die Anpassung erfolgte an unterschiedliche Umweltbedingungen einschließlich der jeweiligen menschlichen Gesellschaft. Alle diese Typen können sich untereinander vermehren und haben geringere Unterschiede des Intelligenzgrades als der Streuung innerhalb der jeweiligen Gruppe entspricht.

Der Mensch wird von diesem Jahrhundert an die Reproduktion seiner Gene bewusst beeinflussen und damit neue Wege in der Medizin gehen können. Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik sind nur der Anfang eines weiten Weges. Mit der Genanalyse einer Zelle aus dem embryonalen Zellhaufen (Morula und Blastozyste) können Erbkrankheiten erkannt und ausgesondert werden. Ohne eigentliche Veränderung des Erbsubstanz können damit genetisch bedingte Erkrankungen aus der Keimbahn für alle nachfolgende Generationen ausgefiltert werden. Damit gelang ein erster Schritt, bestimmte Erkrankungen zielgerichteter und viel rascher als durch die natürliche Evolution verhindern zu können. Anstelle der natürlichen darwinschen Evolution beginnt der Mensch nun jedoch in einem weiteren Schritt - beginnend mit Nutzpflanzen - aktiv Gene zu editieren (selbstdesignte Evolution). Pränatale Änderungen am Erbgut der Zygote bleiben bei nachfolgende Generationen erhalten. Einen Hinweis darauf wie viel schneller als durch natürliche Auslese eine unnatürliche Auslese durch vom Menschen kontrollierte Züchtung erfolgen kann zeigen die Veränderungen an Nutzpflanzen und Nutztieren oder man betrachte nur die Vielzahl der Hunderassen... Inzwischen verfügen Forscher über leistungsfähige Werkzeuge wie DNA-Anallyzer (zur Analyse eines Genoms), Polymerase Chaine Reaktion (zur zyklisch durchlaufenden Vervielfältigung eines Genoms) und Gelelektrophorese (zur Kontrolle des Ergebnisses). Viele Hoffnungen verbinden sich mit dem künftigen Genengineering auch wenn bis zum Erfolg viele Schritte auf der Ebene Organoid in der Zellkultur vor letztlich Tierversuchen positiv ausfallen müssen: etwa damit Erbkrankheiten und später während der von der Evolution nicht berücksichtigten längeren Lebenszeit des Menschen nun gehäuft auftretenden Erkrankungen (etwa Diabetes Typ 2, Arteriosklerose, bestimmte Augenerkrankungen, Demenz ... ) verhindert werden können. Schon jetzt sind Pflanzenzüchter stolz auf ihre Erfolge. Mehr noch, das Genom von Mücken könnte so geändert werden, dass sie keine Malaria mehr übertragen können oder das von Schweinen hofft man so zu verändern, dass seine Organe als Ersatz beim Menschen dienen könnten... Jetzt haben wir die ersten "Faustkeile" als noch primitive Werkzeuge zur Bearbeitung der Gene in der Hand: Genscheren finden zielsicher mit ihrer Designer-Nuclease (CRISPR) gewünschte Genabschnitte auf der DNA und schneiden genau an dieser Stelle mittels eines Enzyms (Cas9) den Strang. Es begann 2005 mit Francisco Mojicas Entdeckung, dass bestimmte DNA-Abschnitte von Ecoli-Bakterien identisch sind mit Sequenzen (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats - CRISPR) aus dem Genom eines Bakteriophagen - einem das Bakterium befallenden Virus. 2011 erkannte Emmanuelle Charpentier wie die Immunabwehr eines Streptococcus-Bakteriums gegen solche Phagen funktioniert: Der CRISPR-Abschnitt mit der fremd-DNA wird in eine RNA umgeschrieben (crRNA) mit der die DNA des eingedrungene Virus identifiziert wird. Das Enzym (Cas9) kann im Zusammenwirken mit zwei RNAs (crRNA und tracrRNA) den Doppelstrang der eingedrungenen Virus-DNA zerschneiden. Die ins Bakterium eingedrungene DNA des Phagen kann sich dann nicht mehr duplizieren. Gemeinsam mit Jennifer Doudna gelang E. Charpentier die beiden RNA-Moleküle zur Single Guide RNA zu verbinden. Feng Zhang konnte schließlich 2013 in Harvard zeigen wie sich die DNA eukariotischer Zellen - etwa vom Menschen - mit CRISPR-Cas9 editieren lässt (CRISPR identifiziert ein Gen, CAS schneidet an dieser Stelle). Diese Ansätze haben das Genediting revolutioniert. Mit Cas13 lässt sich inzwischen auch RNA editieren. Andere aufwendigere Methoden ermöglichen spezielle Proteine als Recombinasen zu entwerfen, die für die "zielgerichtete Evolution" neue Wege eröffnen.

Man hofft nun etwa mit CRISPR/Cas9 krankmachende Gene zu entfernen und an dieser Schnittstelle gleichzeitig erwünschte Gene einzufügen. Der Spielraum für neue Ideen ist groß, selbst ein künstlicher Genverlust - indem ein Gen ausgeschnitten wird - kann nützlich sein. Das Gen CCR5 erzeugt etwa ein Protein, das HIV-Viren zu ihrer Vermehrung benötigen. Und nach neuen Genscheren wird gesucht (etwa CRISPR/CPF1). Andere Forscher verfolgen den Weg mittels Rekombinasen Gene austauschen zu können (RMCE- Kassettenaustauschprinzip). All diese Entwicklungen versprechen viel: Heilung von erblich bedingten Krankheiten wie Chorea Huntington oder Mukoviszidose, Fortschritte bei der Erforschung von Krebserkrankungen durch Testen von Mutationen, Züchtung von tierischen Organtransplantaten etwa vom Schwein für innere Organe oder die Hornhaut des Auges...  CRISPR ermöglicht das Auffinden einer bestimmten Stelle der DNA mit hoher Zuverlässigkeit. Doch hier findet sich auch das Problem: Wenn sich in einem DNA-Strang mehrere Folgen mit der gleichen Sequenz befinden, könnte er an der falschen Stelle geschnitten werden und schwerwiegende Fehler bewirken.

Genediting ist nun möglich, eine Tür zum Genengineering ist damit geöffnet. Einerseits bestehen Hoffnungen, Genschäden an erkrankten Organen behandeln zu können. Andererseits ist speziell der Eingriff in die Keimbahn - also im Zellkern von Keimzellen - mit besonders großer Verantwortung verbunden, denn er wirkt sich auf alle folgenden Generationen aus. Pflanzenzüchtung etwa kann mit diesen Hilfsmitteln rascher erfolgreich sein. Bei allen erreichten Fortschritten  muss uns bewusst sein, dass es sich um den Anfang einer spannenden Entwicklung handelt, manche Überraschungen warten auf dem Weg. Das Buch zum Bauplan des Lebens ist aufgeschlagen, die Buchstaben darin sind inzwischen bekannt, ihre Bedeutung, die Worte und die Syntax lernen wir mit den neuen Methoden verstehen und machen erste Schritte Gene zu verändern. Damit beginnt ein neues Kapitel der "gerichteten Evolution" und niemand vermag vorherzusehen, wohin uns das führen wird.

Wenn Gene den Bauplan für für Proteine kodieren (mittels mRNA), besteht aktuell die große Aufgabe darin, das Zusammenwirken aller Proteine in den Zellen zu verstehen - das Proteom zu erforschen, keine einfache Aufgabe bei wenigstens 18 000 Proteinen. Fortschritte dabei sind entscheidend für Erfolge der personalisierten Medizin: Jeder Krebspatient hat seinen spezifischen Krebs und der sicherste Weg ihn zu besiegen besteht in dem Wissen wie sein Wachstum auf der Ebene der Zelle unterbunden werden kann.

Betrachten wir den Menschen, so gibt es nicht das menschliche Normalgenom, es gibt keine einfache Referenzsequenz. Vielmehr ist das Genom jedes Menschen unterschiedlich und zusätzlich ist jede DNA-Kette seines diploiden Chromosomensatzes verschieden zur jeweils anderen (vom Vater bzw. der Mutter). Und keineswegs ist schon klar, welche der jeweils unterschiedlichen beiden DNA zur dominanten Eigenschaft führt, ob dies ein Leben lang so bleibt und ob immer ein gesunder "Haplotyp" -  also ein nicht mutiertes Gen von beiden diploiden Genen - ausreicht, diese oder jene Erkrankung zu verhindern. Vielleicht 15 Millionen SNPs (single nucleotide polymorphism, sind von Vorfahren geerbte Abweichungen eines Basenpaares in einem DNA-Strang) trägt jeder Mensch in sich, wovon vielleicht nur 300 irgend eine Wirkung haben und nur 100 eine Krankheit während des Lebenslaufs bewirken könnten. Da Zellen über den diploiden Chromosomensatz verfügen, können lebensnotwendige Proteine immer noch von der anderen Hälfte der DNA erzeugt werden, solange nicht auf beiden DNA-Strängen das gleiche Gen einen Fehler aufweist. Der größte Teil (96% schätzen manche Forscher) unserer 1,6m langen DNA-Kette enthält - wie schon gesagt - keine Exons mit Bauvorschriften für Proteine. Der Proteine kodierende Teil scheint für alle Lebewesen auf der Erde ähnlich zu sein, es handelt sich um - bezogen auf die Evolution - konservative Gene mit der Folge, dass Proteine aller Lebewesen auf der Erde verwandt sind. Im großen Rest scheinen sich Informationen über regulatorische Prozessabläufe und die Gestalt des Lebewesens zu befinden sowie über Kontrollfunktionen - etwa über die Schnittstellen zum Spleißen. Daneben enthält vielleicht die Hälfte davon zufällige Kopierergebnisse oder irgendwann von Viren eingeschleuste Codeabschnitte ohne nützliche Information in Introns. Rudimente aus längst vergangenen Zeiten können während der Ontogenese in einem frühen Entwicklungsstadium jedes Lebewesens zeitweise eingeschaltet sein und keine Bedeutung im späteren Leben haben. 8% des menschlichen Genoms besteht anscheinend aus importiertem Erbgut von Retroviren. Diese Viren sind fähig, ihr Erbinformation in die DNA des Wirts einzubringen. Und im Fall der Keimzellen werden diese DNA-Sequenzen an Nachkommen weiter gegeben (endogene Viren). Eine ursprünglich krankmachende Wirkung schwächt sich mit jeder Generation durch Kopierfehler ab, so dass letztlich keine Funktion mehr erfüllt wird. Man nimmt jedoch an, auf diesem Weg könnten die ersten Säugetiere - und damit letztlich auch der Mensch - die Fähigkeit erworben haben, dass das Immunsystem der Mutter den Fötus und die Plazenta (die ja fremde Gene besitzen) nicht abstößt: endogene Viren-DNA wird zeitweise aktiv und produziert Proteine, die Plazenta und Fötus vor dem Immunsystem der Mutter schützen. Ein Beispiel eines für ein Retrovirus ist das berüchtigte HIV-Virus. Es ist für menschliche Zellen infektiös: Es dockt an die Zellmembran an und seine RNA kann dann in die Zelle eindringen. Dort wandelt sich seine RNA mittels auch eingeschleuster Reverse-Transkriptase in Virus-DNA, die ihrerseits in den Zellkern gelangen kann und dort ins Genom der Wirtszelle eingelagert wird. (Die Virusvermehrung erfolgt danach umgekehrt mittels der zelleigenen RNA-Polymerase zur Erzeugung neuer Virus-RNA,) Diese Eigenschaft macht es interessant, Retroviren als Genfähren zu modifizieren: Sie können als "Vektor" zum Einschleusen von erwünschten Erbinformationen genutzt werden. Im Prinzip funktionieren "Vektorimpfstoffe" so.

Die Anzahl der Codesequenzen und damit die Länge der DNA-Kette hat sich bei der Entwicklung komplexer Lebensformen vergrößert. Sie allein ist jedoch kein signifikantes Merkmal für den Entwicklungsstand eines Lebewesens. Beim Menschen erzeugen seine 3,1 Milliarden "Buchstaben" 18.000 bis 25.000 "Sätze" oder Gene als Synonym für je eine Eigenschaft, anscheinend genau so viele wie bei der Maus, viel weniger als beim Kohl (100.000). Und 97% unserer Gene gleichen den von Schimpansen - unseren nächsten Verwadten - und Bonobos, ein kleiner Unterschied mit großen Folgen, etwa dass Axone unserer Nervenzellen im Gehirn mehr Synapsen zur Vernetzung mit anderen Neuronen ausbilden. Um beim anschaulichen Buch zu bleiben, die "Schriftsprache unseres Lebens" hat ihre Besonderheiten: Wir haben es mit nur vier Buchstaben zu tun, folglich ergeben sich sehr lange Sätze, um mit ihnen die Vielfalt der Lebensgrundlagen zu beschreiben (je Eigenschaft durchschnittlich 100.000 Buchstaben). Man würde also für das menschliche Genom 800 Bücher von je 1000 Seiten mit Buchstaben bedrucken können. Und die Bedeutung der Worte im "Buch unseres Lebens" gilt es nicht nur zu entschlüsseln. Die Wirkung entfaltet ein Gen (als kleiner Ausschnitt der gesamten DNA) erst, wenn es durch Enzyme "abgelesen" werden kann außerhalb des Zellkerns über seine Kopie in Form der mRNA. An die DNA angedockte Methylgruppen bewirken ein Verknäueln des DNA-Strangs und verhindern die Transkription - den Ablesevorgang - führen zur Inaktivierung des betreffenden Gens. Eine solches "epigenetisches" Merkmal kann über den Stoffwechsel durch Umweltfaktoren und die Nahrung beeinflusst sein. Eindrucksvoll ist als Beispiel wie sich Futter auf die Entwicklung einer weiblichen Biene auswirkt: wird die genetisch identische Larve mit Gelee Royal gefüttert, entwickelt sich aus ihr eine Königin, anders gebaut und mit anderem Stoffwechsel als eine Arbeitsbiene, die als Futter nach kurzer Zeit Honig und Pollen erhält. Die Aktivität identischer Gene zweier Menschen - auch bei eineiigen Zwillingen - kann sich deshalb unterscheiden. Bemerkenswert ist, dass die DNA-Methylierung bei der Zellteilung erhalten bleiben kann. Was deine Eltern gegessen haben, kann die Aktivierung deiner Gene beeinflussen, weil epigenetische Merkmale an Nachkommen weitergegeben werden können. Der eigentliche genetische Code ist nicht verändert und bestimmt letztlich was im Prinzip alles möglich ist, doch Umwelt und Verhalten beeinflussen während des Lebenslaufs das "Ein- oder Ausschalten" von Genen. Letztlich entscheidet die Kombination aktiver Gene in den Ribosomen - außerhalb des Zellkerns - über die ablaufende Eiweißsynthese und damit über viele Eigenschaften, etwa ob sich die Zelle teilen soll, welche Eigenschaften Tochterzellen annehmen... Die DNA ist in jeder Zelle unseres Körpers (abgesehen von Fehlern) identisch und doch unterscheiden sich Zellen verschiedener Organe und ihr Stoffwechsel deutlich als Folge eben der unterschiedlichen Genaktivierung.

Die mRNA ist sozusagen das Rezeptbuch für all unsere zahllosen Proteine. Zu ihnen gehören auch Enzyme, Antigene und Wachstumshormone. Hier öffnet sich eine Spielwiese mit künstlich hergestellter mRNA, auf zahlreiche Erkrankungen einwirken zu können, neuartige Medikamente wie Onpattro und Impfstoffe zu entwickeln. Eine Herausforderung dabei ist die Zerbrechlichkeit der mRNA-Stränge und sie unversehrt in die Zellen einbringen zu können, damit sie dort die erwünschten Proteine erzeugen kann etwa zur Bildung von Antigenen gegen das Sars-Cov-2-Virus. In der Zelle muss die mRNA zudem vor zerstörenden Enzymen geschützt bleiben. Die mRNA zu schützen und ihr den Weg in Muskelzellen zu öffnen gelang nur mühevoll mit Hüllschichten aus mehreren Lipid-Nanopartikeln und Cholesterin. Die Stabilität dieser komplexen Lipidhülle zum Schutz der mRNA erfordert die Kühlung der Impfstoffe (bei BioNTech/Pfizer bei -70°C, bei Moderna bei -20°C).

Die Abfolge methylierter Gene kann charakteristisch für Krebsarten sein. Erst die Häufung mehrerer Gendefekte (Mutationen) - entstanden durch Strahlenwirkung, Einwirkung "mutagener" Stoffe im Zellkern, Fehler bei der Replikation der DNA im Zusammenhang mit der Zellteilung oder ererbte SNP innerhalb dieser Zelle kann ihre Lebensfähigkeit einschränken. Damit rechnet man ab etwa 10 Mutationen, wobei entscheidend ist, ob davon ein wichtiges Gen betroffen ist oder ob es sich um einen bedeutungslosen DNA-Abschnitt handelt. Die Überlebensfähigkeit einer Zelle sinkt jedenfalls mit der Anzahl vertauschter oder gestörter Basen innerhalb eines Gens und wenn die Störung auf dem gleichen Gen beider diploider Chromosomen vorliegt. Massive Brüche von Chromosomen (Chromatothripsis) mit damit verbundenen mehrfachen DNA-Defekten werden selten beobachtet, dies aber gerade bei besonders aggressiven Formen etwa von Leber- und Brustkrebs. Das Risiko einer Krebserkrankung ergibt sich, wenn Gene gestört sind, die für die Teilung der Zelle und gleichzeitig zusätzlich solche, die für die Apoptose oder den zellinternen Reparaturmechanismus defekter DNA-Abschnitte zuständig sind. Heute sind einige solcher Gene bekannt, die besonders wichtig für den natürlichen Reparaturmechanismus von Gendefekten sind. Sie kodieren Proteine zur Reparatur etwa von Chromosomenbrüchen (Tumorsuppressorgene wie BRCA1 und RAD51 auf Chromosom 17 oder BRCA2 auf Chromosom 13 oder PALB2 auf Chromosom 16). Solche Gene kodieren auch Proteine, die Doppelstrangbrüche mittels homologer Rekombination reparieren können.

Als Apoptose bezeichnet man das gesteuerte Absterben einer Zelle, eine der Möglichkeiten eine unkontrollierte Teilung (also Krebs) zu verhindern. Dem Start der Apoptose scheint ein Abgleich der DNA des Kerns und der der Mitochondrien voranzugehen, die ein Signal zum Zelltod aussenden. Auch die Ausbildung einiger genetisch bedingter Krankheitssymptome kann durch eine Wechselwirkung zwischen DNA und mtDNA gefördert oder verhindert werden. Während der Zellteilung kann das Fehlerrisiko erhöht sein, wenn zeitweise nur ein Einfachstrang der DNA präsent ist, vielleicht auch bei der Chromatothripsis. Fehler beim Kopiervorgang sind statistisch selten, wenn man die riesige Zahl der bei jeder Zellteilung kopierter "Buchstaben" betrachtet, allerdings nicht 0 sondern etwa 3. Bestimmte Bakterien (Helicobacter pylori, Propionibacterium acnes) verändern das Erbgut von ihnen besiedelter Organe so, dass sie an der Entstehung von Magen- bzw. Prostatakrebs beteiligt sind. Risikofaktoren summieren sich insgesamt mit dem Lebensalter. Normal nimmt die Teilungsfähigkeit einer Zelle mit dem Alter ab, weil sich die Endstücke der Chromosomen (Telomere) sich bei jeder Teilung verkürzen: "Wir altern auch, weil die  Regenerierungsfähigkeit verschwindet". Ausdauer-Sport scheint der Verkürzung der Telomere entgegen zu wirken, sie zu Wachstum anzuregen.

Zum Krebs mutierte Zellen überwinden die Hürde der schwindenden Teilungsfähigkeit, indem  sie viel Telomerase produzieren - ein Enzym, das die Telomere verlängern hilft. Eine individuelle Genanalyse kann zum Auffinden von krankmachenden und Krebs erzeugenden Kombinationen von SNP oder von methylierten (inaktivierten) "Tumorsuppressorgenen" in Zukunft die Wahl einer individuellen Therapie ermöglichen, wirksamer und mit weniger Nebenwirkungen (krebsartenspezifische personalisierte Therapie). Für manche Erkrankungen sind allerdings zahlreiche Mutationen auf vielen Genen verantwortlich, die von den zahllosen ganz normalen Abweichungen unterschieden werden müssen. Die Genanalyse wird zwar preiswerter werden, doch neue Fragen ihrer Finanzierung im Gesundheitswesens zeichnen sich am Horizont ab. Dies auch, weil neue Behandlungsmöglichkeiten technisch aufwendig sind. Zum Beispiel eröffnet die Schwerionenbestrahlung - etwa mit Protonen oder Kohlenstoffionen - neue Chancen zur Zerstörung bisher schwer zu erreichender Tumoren. Ionen aus einem Teilchenbeschleuniger können genauer ihr Ziel im Körper treffen und eine geringere Strahlendosis wird möglich. Unabhängig davon keimen Hoffnungen mit modifizierten Herpes- und Masernviren Krebszellen gezielt bekämpfen zu können, einer von verschiedenen Forschungs-Ansätzen.

Voraussetzung zu einer erfolgreichen Bestrahlung oder der operativen Entfernung von kanzerogenem Gewebe ist seine präzise Lokalisierung - besonders bei Metastasen. Fortschritte wurden dabei erreicht: Ein an die spezifischen Krebszellen bevorzugt andockendes Trägermolekül (ein "Carrier" wie Cholin, Zucker...) wird mit einem radioaktiven Isotop ("Tracer") verbunden (etwa 18F, 11C, 68Ga, 15O). Die beim Zerfall entstehenden Positronen zerstrahlen mit im Gewebe zahlreich vorhandenen Elektronen und erzeugen mit ihrer Orientierung auf den erkrankten Bereich zeigende Gammastrahlen. Zur Positionsbestimmung im Körper wird Positronenemissionstomogrophie (PET) mit anderen bildgebenden Verfahren wie MRT oder CT kombiniert, so dass selbst kleine Metastasen lokalisiert werden können. Ein erfolgreiches Beispiel ist die PSMA PET (PET für Prostata-spezifisches Antigen auf betroffenen Zelloberflächen). Während einer Operation ist es auch möglich mit einem Strahlungsdetektor das erkrankte Gewebe besser zu orten.

Das Genprogramm steuert das Verhalten hoch entwickelter Lebewesen für diese unbewusst in der Weise, dass es selbst weiter verbreitet wird. Das komplexe Zusammenspiel in der Zelle und die Kommunikation zwischen den Zellen in einem Organ und letztlich im ganzen Menschen bleibt ein langfristiges Forschungsthema. Jede Zelle gibt Signalmoleküle ab und empfängt an Rezeptoren Signale der Nachbarzellen, wobei eine Information aus der Kombination verschiedener Signalmoleküle und ihrer Menge kodiert ist. Damit sich im Embryo aus ursprünglich einer einzigen befruchteten Eizelle ein Organ, später ein Körperteil, letztlich der vielgestaltige Mensch entwickeln kann, ist dieses Wechselspiel der Signale essentiell. Die von der Zelle ausgeschiedenen Signalproteine - z.B. Sonic hedgehog - werden in benachbarten Zellen von Rezeptorproteinen erkannt. Dort schalten Transkriptionsfaktoren mit dieser Information Gene EIN oder AUS (Genexpression). Damit entscheidet die Konzentration eines Signalproteins oder Wachstumshormons - und damit auch die Entfernung vom Absender - über Aktivierung oder Inaktivierung von Genen in benachbarten Zellen eines (sich im Embryo bildenden oder beim Erwachsenen reproduzierenden) Organs. Ein solcher Signalweg kann auch rasches oder langsames Wachstum eines Tumors bewirken. Ein Ansatz in der Krebsforschung ist deshalb die Suche nach einer Signal-Substanz, die letztlich eines der für die rasche Teilung der entarteten Zellen verantwortlichen Gene ausschaltet.

Will man die Verwandtschaft verschiedener Varietäten oder verschiedener Arten bestätigen, bietet sich ein Vergleich der DNA der Mitochondrien (mtDNA) an wegen ihrer Invarianz. Diese wird über die Eizelle - also die mütterliche Linie - (und ohne die Vielfalt chromosomaler Überkreuzungen) vererbt. Auf diese Weise ist aus den wenigen Abweichungen der DNA-Sequenz der Nachweis gelungen, dass sehr verschieden aussehende Menschen unterschiedlicher Rassen von gleichen Vorfahren abstammen. Die DNA des Neandertalers dagegen weicht stärker ab. Aus einem fossilen Knochen konnte eine vollständige DNA-Sequenz des Neandertalers rekonstruiert werden. Immerhin beweist die Übereinstimmung von einzelnen DNA-Sequenzen vom Neandertaler und europäischen und asiatischen Menschen, dass es zu Kreuzungen gekommen sein muss und mit 1,5 Prozent der Gensequenzen lebt er im europäischen nicht aber im afrikanischen Typ des homo sapiens weiter. Doch wenn man diese kleinen Bestandteile über die ganze heutige Bevölkerung summiert sind vielleicht 30% der Neandertaler Gene in heute lebenden Menschen erhalten geblieben. Man kann aus den geringen Abweichungen der DNA auch ablesen, dass alle jetzt lebenden Menschen von einer zahlenmäßig kleinen afrikanischen Population abstammen. Glücklicherweise sind diese wenigen Vorfahren nicht einer Naturkatastrophe zum Opfer gefallen; sie breiteten sich vor mehr als 80000 Jahren von Afrika und Südeuropa aus über ganz Eurasien aus, überlebten die letzte Eiszeit und setzten sich gegen die Neandertaler durch. Der hatte einen kräftigen Körperbau, gleiches Hirnvolumen wie der homo sapiens, nutzte Feuer und stellte Werkzeuge wie perfekte Feuersteinklingen und Speere etwa zum stechen von Wild her. Er war an das raue Klima gut angepasst. Kulturelle Zeugnisse finden sich in Schmuckgegenständen und Vogelfedern sowie Malereien in verschiedenen Höhlen in Spanien, erste symbolische Objekte sind eingeritzt in seinen zuletzt bewohnten Höhlen in Gibraltar (bis vor 39000 Jahren). Er begrub seine Verstorbenen und muss auch über eine Sprache verfügt haben. Wenig klar sind die Ursachen seines Aussterbens. Man kann annehmen, dass Kreuzungen zwischen beiden Typen in Gruppen des homo sapiens überlebt haben aber genetisch überflutet wurden mit viel mehr Menschen vom Typ homo sapiens. Der Ausbruch des Supervulkans Phlegäische Felder vor 39000 Jahren hat vielleicht mit seinem Ascheregen un folgenden Kälteperiode anscheinend zur Dezimierung der an sich kleinen Population der Neandertaler und vielleicht schon in Europa ansässigen Gruppen vom homo sapiens beigetragen. Auffällig ist eine größere Variantenvielfalt der DNA bei afrikanischen Menschen mit viel mehr Mutationen, geringer dagegen beim europäischen und asiatischen Typ und besonders gering bei Indern. Man nimmt an, dass nur sehr wenige Inder den Ausbruch des Toba vor 74.000 Jahren überlebt hatten, deren Nachkommen jetzt leben. Beliebt sind Genanalysen des Y-Chromosoms, das nur immer vom Vater auf Söhne vererbt werden kann, was eine Vermischung der Erbsubstanz verhindert. Unterschiede in den Mutationen dieser Gene verraten deshalb viel über Verwandtschaftsverhältnisse und man kann Wanderwege und Ausbreitung des Homo sapiens damit rekonstruieren.

Am Beginn der Entwicklung jedes Menschen teilt sich zunächst die befruchtete Eizelle in zahlreiche undifferenzierte Stammzellen. Bisher nur ansatzweise bekannte Kontakt-Signale, Hormone und andere Eiweißkörper steuern aus den Stammzellen das Wachstum differenzierter Zellen und ihren morphologischen Zusammenschluss zu Organen. Bestimmte Gene werden dabei "eingeschaltet" oder auch inaktiv. In einer Minute können dabei 100.000 Zellen neu entstehen. Ernst Haeckel hat beschrieben, wie jeder Mensch bei seiner embryonalen Entwicklung (Ontogenese) Stadien der früheren Stammesentwicklung (Phylogenese) durchlebt. Bestimmte Organe - etwa Schwimmhäute - werden zwar angelegt, doch die Zellen sterben später ab, ihr Tod war bereits "programmiert" (Apoptose). Darin spiegelt sich ein tiefes Prinzip des Lebens wider und das komplexe Zusammenspiel vieler vergangenheits- und gegenwartsbezogener Prozesse ermöglicht erst die gesunde Entwicklung eines Fötus. Auch heute noch empfinden wir es dankbar als wunderbares Geschenk, wenn ein solch komplexer Vorgang glückt. Und Ehrfurcht kehrt ein, wenn wir uns bewusst machen wie jeder Mikrokosmos Mensch ein Universum für sich darstellt, gebildet aus 100 Billionen Zellen (1014), jede für sich ein komplexes System. Durchschnittlich muss sich eine befruchtete Eizelle (Zygote) 47 mal fehlerfrei geteilt haben bis sich ein Mensch daraus entwickelt hat.

Die befruchtete Eizelle, der Keimling entwickelt sich aus einem undifferenzierten Zellhaufen nach 4 Tagen in eine eingestülpte Blastozyste und innerhalb von 2 Wochen schreitet die Differenzierung so weit fort, dass sich verschiedene Organe im Embryo unterscheiden lassen, in der 3. Woche beginnt ein winziges Herz zu schlagen, die spätere Wirbelsäule wird angelegt. Nach 9 Wochen kann man den Fötus schon als kleines Menschlein deuten... In der kurzen Zeit von 12 Wochen hat sich aus der befruchteten Eizelle ein daumengroßer Däumling entwickelt, ein kleines Wesen, das man später als Mensch bezeichnen wird. Die modernen bildgebenden Verfahren - etwa mit Ultraschall - erlauben uns, teilzunehmen am Leben des Fötus im Uterus. Die beeindruckenden endoskopischen Bilder und Filme, wie wir sie etwa Lennart Nilsson verdanken, zeigen uns ein beinahe vertraut erscheinendes Verhalten des Fötus im Fruchtwasser: sich bewegend, Wasser trinkend, träumend (die Augenlider verraten es)... Viele Nervenbahnen und ein Teil der neuronalen Schaltkreise im Gehirn werden angelegt und schon trainiert. Ab der 28. Woche beginnt sich das Gehirn zu falten und vergrößert so seine Oberfläche. Sinnesreize können im Gehirn "verarbeitet" werden: Riechen, Hören. Der Hörsinn ist zwar ab dem 6. Monat aktiv doch etwa 3 Monate nach der Geburt soll er "vollständig" entwickelt sein, etwa aus der Verknüpfung beider Hörsignale im Gehirn eine Richtung der Schallquelle erkennen. Musik wird nicht nur gehört, das werdende Menschlein interessiert sich schon im Mutterleib dafür. Hörsinn ist zeitliche Analyse von Schallwellen und zwar nicht allein der Schwingungsdauer der Töne, ihrer kodierten Muster, des ganzen komplexen Ablaufs. Kein anderer Sinn ist so vom Zeitablauf geprägt. Schade, dass Erwachsenen keine bewusste Erinnerung an die Zeit vor der Geburt und an die ersten Kindesjahre zugänglich ist: Unser Gehirn musste erst "reifen", viele Fähigkeiten und Inhalte unseres Bewusstseins einschließlich bewusster Erinnerung bilden sich erst in einem mehrere Jahre dauernden Prozess aus. Dazu gehören nicht nur unser kognitives Denkvermögen, auch Elemente des Umgebungsbewusstseins wie unser Sehvermögen - ein Fötus kann nur hell und dunkel unterscheiden. Zur Ausbildung der Signalwege für das Sehvermögen werden im Mutterleib nicht verfügbare Lichtreize benötigt: erst 5 Monate nach der Geburt ist die Netzhaut aus Vorläuferzellen vollständig ausgebildet und Farbnuancen können genau unterschieden werden, die Akkomodation der Augenlinse zum Scharfsehen wird trainiert. Immerhin können Neugeborene nach wenigen Stunden das Gesicht der Mutter zumindest schemenhaft erkennen und reagieren schon bald auf Gesten. Da Signalwege zwischen beiden Hirnhälften noch gebahnt werden müssen, können Entfernungen aus Bildern der beiden Augen zunächst nicht abgeleitet werden. Man nimmt ja an, dass Babys anfangs doppelte Bilder sehen und sich Neuronenverbindungen im Gehirn entwickeln müssen, ehe stereoskopisches Sehen möglich wird und sie etwa nahe Gegenstände gezielt ergreifen können. Gesichtsausdrücke des Gegenüber werden frühzeitig nicht nur erkannt, sogar schon ein wenig interpretiert etwa mit dem eigenen Gesichtsausdruck nachgeahmt wie die Zunge ausgestreckt. Verblüffend ist, dass die neuronalen Verknüpfungen für unser räumliches Sehen lebenslänglich "umprogrammiert" werden können. Bieten wir unseren Augen im Experiment mit einer Spezialoptik die Umwelt auf dem Kopf stehend an, lernt unser Gehirn innerhalb von zwei Wochen die verdrehte Welt wieder "richtig" zu sehen.

Vereinfacht formuliert ermöglichen die Gene die Reproduktion einer Zelle und enthalten die Anleitung für die Proteinsynthese, den Stoffwechsel in der Zelle. Stoffwechselunterschiede, derentwegen eine individuelle Medikamentenverordnung nützlich wäre, könnten deshalb aus einer Genanalyse erkannt werden. Das Zusammenspiel der Zellen im Organismus steuern Hormone. Ihre Ausschüttung wird vom Nervensystem beeinflusst. Das Nervensystem kann auch direkt auf Organe einwirken, Abläufe können auf diesem Wege rascher als über Hormone und die Blutbahn koordiniert und geregelt werden. Teile des Nervensystems vermitteln den Anschein als wären sie (beim Erwachsenen) "fest verdrahtet", arbeiten vergleichbar einem Analogrechner mit festem Programm. Das trifft etwa für unser vegetatives (autonomes) Nervensystem zur Steuerung der inneren Organe und das periphere Nervensystem zu. Diese Teile organisieren sich schon während der fötalen Entwicklung vor der Geburt. Und das periphere Nervensystem hat die wichtige Fähigkeit zur Selbstheilung nach einer Verletzung, die im zentralen Nervensystem (Gehirn, Rückenmark) blockiert ist. Die Bildung der Signalverbindungen zwischen Tausenden von Nervenzellen (Neuronen) ist ein komplexes Geschehen: neu gebildete Nervenzellen wandern von ihrem Entstehungsort einem Konzentrationsgefälle folgend gern auch entlang bereits existierender Axone und gerichtet in Bereiche mit spontaner Aktivität von schon vorhandenen Neuronen. Offenbar helfen Gene und Proteine dem Axon sein Ziel oder seine Ziele im Gewirr der zahllosen Neuronen zu finden. Jedes Neuron besteht aus dem zentralen Teil des Zellkörpers mit dem Zellkern (die graue Hirnsubstanz bildend) und Ausläufern (weiße Subtanz): zahlreichen Fortsätzen für den Empfang von Signalen (Dendriten) und einem oder mehreren sich verästelnden Sendeausgängen (Axon oder Neurit). Ob ein Fortsatz als Dendrit wirkt oder sich zum Axon entwickelt, entscheidet sich während der Entwicklung des Neurons. Und diese Entscheidung kann in der Wachstumsphase extern beeinflusst werden - etwa durch die Substanz Taxol. Die Funktion eines Neurons besteht grundsätzlich darin, über alle von den Dendriten eintreffenden Signale zu integrieren und mit einem Schwellwert zu vergleichen. Wird dieser überschritten "feuert" das Neuron, sendet also einen steil ansteigenden  und exponentiell abfallenden Impuls über sein Axon. Die Signalübertragung in den Fortsätzen ist immer gerichtet (Simplexverkehr in einer Einbahnstraße) und wird durch ein elektrisches Aktionspotential im Bereich von +40 bis -70 mV bewirkt. Das wird durch Ionenkanäle in der Zellmembran für Kalium-, Natrium- und Kalziumionen erzeugt. Deswegen ist die Signalgeschwindigkeit nicht die Lichtgeschwindigkeit sondern weniger als 100 m/s. Bereits 1859 hatte Hermann Helmholtz 27 m/s gemessen. Ein Neuron kann Signale mit mehreren hundert (bis zu 10.000) anderen austauschen. Forscher unterscheiden funktionell bis zu 400 verschiedene Klassen von Neuronen, die in 50 morphologisch unterschiedlichen Zelltypen am schichtförmigen Aufbau des Cortex beteiligt sind. Es finden sich kleine Bereiche mit besonders starker interner Vernetzung. Sie bilden eine "neokortikale Säule" für ein spezielles "Verarbeitungsprogramm". Wegen der Vielfalt der Vernetzung gleicht kein Neuron irgend einem anderen, nicht einem von uns selbst und nicht dem eines anderen Menschen. Vergleiche es mit einem alten Baum, du wirst keinen genau gleichen finden, nicht in diesem Wald und nicht in einem anderen! Axone wachsen und bilden Übergabeschnittstellen (Synapsen) zu Dendriten anderer Neuronen. An den (chemischen) Synapsen wird die Information vom Axon einer Zelle über einen 20 Nanometer dicken Spalt zum Dendriten einer anderen mit biochemischen Botenstoffen übergeben. Derzeit kennt man 40 "Neurotransmitter" wie Dopamin, Noradrenalin, Serotonin, Oxytocin, Vasopressin, Glutamat, Gamma-Amino-Buttersäure (GABA), Morphium oder Acetylcholin, die in winzigen - im Elektronenmikroskop sichtbaren - Vakuolen (synaptische Vesikel) gespeichert werden. Das Bild rekonstuiert den Schnitt durch ein winziges 40nm großes Vesikel mit rot dargestellten Glutamat-Pünktchen.

© R.Jahn MPI für biophysikalische Chemie Göttingen

Die Verfügbarkeit etwa von Acetylcholin und Glutamat in den Synapsen scheint mit zunehmendem Lebensalter etwas abzunehmen, was eine Ursache für eine langsamere Signalübertragung sein könnte. Die Zuverlässigkeit der Signalübertragung ist abhängig von der Anzahl bereitstehender mit Neurotransmitter gefüllter Vesikel. Die Regeneration der Vesikel ist ein komplexer biochemischer Vorgang. Der in den synaptischen Spalt freigesetzte Neurotransmitter diffundiert innerhalb einiger Millisekunden zu Rezeptoren in der Membran des Dendriten. Es gibt auch Synapsen, in denen eine schnellere Signalübertragung direkt über das elektrische Aktionspotential erfolgt. Einige Neurotransmitter wie Serotonin und Dopamin wirken als Botenstoffe im Organsystem des Körpers. Serotonin vermittelt Sicherheit und Gelassenheit, Dopamin Aufregung und Leidenschaft, sie sind in diesem Sinn Antagonisten. Oxytocin und Vasopressin sind bei Frauen und Männern wichtige Botenstoffe beim Sex. Sie stärken Bindungen - auch zwischen Mutter und Baby. Dopamin unterstützt das Belohnungssystem. Insoweit sind wir tatsächlich Spielball unserer Hormone, doch gewissermaßen selbstverstärkend führt unser Denken, unsere Gedankenwelt zur zusätzlichen Ausschüttung der Hormone oder auch zu ihrem Abklingen. Wir sind zugleich Jäger und Gejagte und doch nicht schutzlos dem Jäger in uns ausgeliefert. Und wir sind "verantwortlich" für unser Tun. Wir erleben eine pubertäre Phase und lernen schließlich mit uns selbst umzugehen. Premelanotid oder Oxytocinspray verführen uns nicht gegen unser Gefühl und unseren Verstand zum Sex.

Neugeborene mancher Tierarten beherrschen unmittelbar nach der Geburt komplexe Abläufe wie Orientierung und Bewegung in der Umwelt und Beute machen - sind sofort zu Wahrnehmungs-Handlungs-Zyklen fähig. Vererbung aber auch besonders frühe Entwicklungsstadien des Gehirns bestimmen, welche Neuronen mit anderen Verbindungen eingehen. Dass Gene die Ausbildung der Struktur neuronaler Verbindungen festlegen können, ist von Barry Dickson an neuronalen Schaltkreisen der Fruchtfliege Drosophila mit dem Austausch von Genen bewiesen worden. Nicht nur im groben Maßstab ist die Anatomie des Gehirns genetisch vorgegeben, vielleicht sind an der Architektur des neuronalen Netzwerks viele unserer Gene beteiligt. Ein Verdacht drängt sich auf, dass selbst Verhaltensmuster beim Menschen ererbt sein könnten. Haben wir Menschen mit genetischen "Altlasten" zu kämpfen etwa bei unserer Bereitschaft zu Aggressionen? Im Verhalten von hoch entwickelten Tieren - etwa Schimpansen - kann man etwa nach Verletzung des Territoriums einer Gruppe durch ein fremdes Tier "Mord und Totschlag" beobachten.

Unzählige neuronale Verbindungen bilden sich erst nach der Geburt, etwa wie schon gesagt für die Bildverarbeitung im Gehirn aus den Sinnesreizen der Netzhaut. Und unser Gehirn behält lebenslang diese bemerkenswerte Fähigkeit! Auf diese Weise organisiert es sich innerhalb seiner genetischen Grenzen durch seine Aktivität selbst. Für ein erfolgreiches "Neuronenkonzert" unentbehrlich ist lebenslange Aktivität und Training der Signalwege. Benutzung mit Versuch und Test des Ergebnisses stärkt existierende Verbindungen. Aus einer größeren Zahl sich zunächst bildenden Verbindungen bleibt eine Teilmenge übrig. Wie an der Anbindung von Neuronen an einzelne Muskelfasern studiert werden konnte, findet ein regelrechter Verdrängungswettbewerb zwischen Neuronen statt: Aus der Anzahl vorher existierender Verbindungen bleiben nur die "stärksten" übrig. Dieser "Verdrängungswettbewerb" scheint ein wichtiges Element im Algorithmus der Selbstverdrahtung - also der Selbstentwicklung des Programms im Gehirn zu sein. Eric Kandel hat an Meeresschnecken und Mäusen zeigen können, dass beim Lernen gebildete Proteine nicht nur die Funktion, auch die Form der betroffenen Synapsen verändern. Nervenzellen (Neurone) teilen sich ebenso wie Muskelzellen des Herzens nach der Geburt nicht mehr, dennoch werden auch im Alter im Gehirn neue Neuronen gebildet. Speziell im Gyrus dentatus - einer Region im Hippocampus - und der subventrikulären Zone (SVZ) aber auch im Bulbus olfactorius werden aus adulten Stammzellen lebenslang neue Nervenzellen gebildet und fügen sich in das neuronale Netzwerk ein (adulte Neurogenese). Man kann (aus der Altersbestimmung der DNA mit einer modifizierten 14C-Methode) nachweisen, dass der Hippocampus im Lauf des Lebens zu 35% aus neu gebildeten Neuronen besteht (nach einer Abschätzung entstehen dort jährlich 2% neue Neurone), der Gyrus dentatus sogar aus 80%. Das ist wichtig, da Neuronen im Hippocampus absterben wie es alle Zellen lebenslänglich eben auch tun. Deshalb hilft er bei unserer lebenslangen Lernfähigkeit, der "Plastizität" unseres Gehirns. Er ist ein Flaschenhals und wichtiges Bindeglied, um neue Kurzzeiterinnerungen in Langzeiterinnerungen umwandeln und in entfernten Hirnregionen speichern zu können. Wie vor allem vom Patienten H.M. (Henry Gustav Molaison) nach der Entfernung seines Hippocampus zu lernen war - er wurde 82 Jahre alt und lebte schließlich 55 Jahre ohne Hippocampus - gibt es mehrere in verschiedenen Gehirnregionen verortete Gedächtnissysteme. Neue Gedächtnisinhalte konnte Molaison nicht mehr langfristig speichern, sehr wohl blieben aber Persönlichkeit und Intellekt, Kurzzeitgedächtnis im Zeitbereich einiger Minuten und prozedurales Gedächtnis (etwa Lesen oder motorische Fähigkeiten wie Fahrradfahren) erhalten.

Für das Langzeitgedächtnis - so nimmt man an - werden schwache Verbindungen durch Benutzung verstärkt und zusätzliche angelegt etwa im Cortex (vgl. Hebbsche Regel). Das beinhaltet komplexe biochemische Abläufe besonders im Bereich der Synapsen. Leider bilden sich neue Neuronen (Neurogenese) nicht in allen Regionen, so dass Verletzungen oder ein Schlaganfall nicht so leicht ausgeglichen werden können.

Das neuronale Netzwerk ist gigantisch. In unserem Gehirn befinden sich im Volumen von 1,5 l etwa 1011 Neuronen mit jeweils bis zu einigen tausend Verknüpfungen zu anderen Neuronen (1014 Synapsen) und Fasern von vielen 100.000 km Länge. Unser Gehirn benötigt gemessen an Gesamtumsatz des Menschen relativ viel Energie, etwa 30 Watt von insgesamt 100 bis 150 W des ganzen Körpers. Es ist auf eine ständige Versorgung mit Sauerstoff und leicht umsetzbaren Energieträgern angewiesen. Die Verbindungen sind nicht nur wesentlich für das Abbild, das in unserem Gehirn von der Welt entsteht, auch für unsere Denkfähigkeit, unsere Gefühle und Emotionen. Unsere 1,3kg Gehirn beinhalten die Persönlichkeit und sind die erste Instanz unseres Lebens: Das darin enthaltene Abbild von uns, unserer Biografie und der Umwelt bestimmt unser Lebensgefühl, unsere Innenperspektive für uns selbst, wie wir uns selbst wahrnehmen, unser ICH. All das spielt sich in mikroskopischen und submikroskopischen Dimensionen ab. Dieses Universum in uns zu erforschen, fehlen uns noch zerstörungsfreie Werkzeuge mit mikroskopischer Auflösung - eben weil die schwer zugänglichen elementaren Vorgänge im Gehirn sich im Nanobereich abspielen. Mit Elektronenmikroskopen können Strukturen bis zu Abständen von 0,1nm aufgelöst werden. Das gelingt nur mit speziell präparierten Objekten im Vakuum, also nicht an lebenden Organismen. Lichtmikroskope erlauben biologische Abläufe bedingt durch die mit der Wellenlänge verknüpfte Abbesche Beugungsgrenze bis zu minimal 200nm aufzulösen. Einen Fortschritt  ergeben Verfahren, die die Begrenzung durch die Lichtwellenlänge sozusagen austricksen (z.B. STED). Dabei werden auch Methoden der Fluoreszenzmikroskopie genutzt, indem die interessierenden Strukturen mit biolumineszenten Eiweißmolekülen markiert werden, die durch Laserlicht zum Aussenden von langwelligerem Licht angeregt werden. Die zur Anregung dienenden Laser sind auf das Objekt fokussiert und tasten es ab. Dabei werden 2 spezielle Laserstrahlen geschickt überlagert, so dass die Probe nur noch aus einem viel kleineren Bereich fluoreszierendes Licht aussenden kann. Fluoreszierende Bereiche im Abstand von nur 2,4nm konnten so unterschieden werden. Minimalistische Experimente mit Tieren und mit Zellpräparaten - beispielsweise mit Insekten, Schnecken oder Mäusen - erlauben schon einzelne Schritte und Abläufe bei der Reizfortleitung oder der Bildung eines Kommandos etwa für eine Muskelkontraktion zu verstehen. Man unterscheidet 2 Arten der Muskelkontraktion mittels Oxidierung und bei Sauerstoffmangel anaerob mit dem Ergebnis von Laktat (Muskelkater).

Besonders interessant ist spannungsinduzierte Lumineszenz, weil so die Reizfortleitung in Nervenfasern sichtbar wird, also sich die Chance eröffnet, Neuronen bei ihrer Tätigkeit zuzuschauen. Die Chance zur Verallgemeinerung ist gegeben, weil die Evolution viele ihrer "Entwicklungen" immer wieder kopiert hat. Eines von vielen Beispielen ist die Erforschung von Ionenkanälen im Mikrometerbereich mit der Glasmikropipette durch Erwin Neher und Bert Sakmann. Die Anwendung spezieller Verfahren der Fluoreszenzmikroskopie - etwa Vertico-SMI-Mikroskopie (mit "Spatially Modulated Illumination") - mit fluoreszierenden Proteinen (wie GFP) wird einem revolutionären Wissenszuwachs über Vorgänge in lebenden Zellen ermöglichen. Damit ist eine Tür für Beobachtungen im Nanobereich - also auch weit unter der klassischen  Auflösungsgrenze optischer Mikroskope aufgetan. Viel versprechend sind auch Farbstoffe, deren Färbung sich mit dem Aktionspotential eines Neurons ändert. Mit ihrer Hilfe können aktive von inaktiven Neuronen in einem Gewebepräparat im Lichtmikroskop unterschieden werden. Zerstörungsfreie (oder wenig belastende) Werkzeuge der Zukunft werden es schrittweise ermöglichen, im einzelnen Neuron und seinen Fortsätzen ablaufende elektrochemische und biochemische Vorgänge genauer zu analysieren. Wenn wir von 30W Energieumsatz im Gehirn ausgehen (bei einem gesamten Energieumsatz des Menschen von 100 bis 150 W) , erweist sich das im Ergebnis als evolutionäres Meisterwerk, denn für jeden lebenden Organismus ist das ständig benötigte Nahrungsangebot ein KO-Kriterium. Man versucht ja mit den derzeit fortschrittlichsten Prozessoren das menschliche Gehirn zu simulieren und erreicht nun auch in Human-Brain-Projekten wie etwa SpiNNaker2 (TU Dresden) eine mit dem Gehirn vergleichbare gewaltige Anzahl an Neuronen. Doch der Energiebedarf liegt im Bereich von 300kW, dem 10000-fachen, also Ehrfurcht vor dem Ergebnis der evolutionären Entwicklung des menschlichen Gehirns ist angesagt. Neuronen scheinen Energie vor allem nur umzusetzen, wenn sie feuern, also im vergleichsweise zeitlich sehr kurzen aktiven Zustand. Derzeitige Elektronik verbraucht dagegen auch im passiven Zustand viel mehr Energie.

Und es wird durch Simulation des Zusammenspiels vieler Neuronen möglich werden, die komplexen Abläufe beim Erinnern (Speicherung) bis zum Zustandekommen eines Gedankens - einem Wetterleuchten von vielen erregten Neuronen - elementar zu verstehen. Heute sind nicht nur im mikroskopischen Bereich noch grundlegende Fragen offen. An einem komplexen Ereignisablauf und seiner Rekapitulation in der Erinnerung sind sehr viele - vielleicht bis zu 107 Neuronen - beteiligt. Es stellt sich das Problem der großen Mengen. Selbst "generalisierte" Zustände sind deshalb noch nicht voll verstanden, in denen sich das Gehirn im Wachzustand, in den verschiedenen Schlafzuständen, in Traumphasen, in der Hypnose und in der Narkose befindet. Im Zustand der Hypnose ist die Verbindung zum Bewusstsein für die Umgebung einschließlich des Körpergefühls unterbrochen. Schlaf ist keine Willensentscheidung, er ist biologisch notwendig: ohne Schlaf besteht nach einigen Tagen Lebensgefahr. Da Gründe dafür nicht hinreichend bekannt sind, darf ich spekulieren: Die Kommunikation zwischen Neuronen - also die Aktivität unseres Gehirns - ereignet sich im Zeitbereich von Millisekunden, die Evolution hat diese erstaunliche Fähigkeit geschaffen. Bestimmte Ressourcen dafür - sozusagen Neurotransmitter-Verbrauchmaterialien - befinden sich in mikroskopisch kleinen Vesikeln und Vakuolen und werden nach "Dauerbetrieb" rar. Ersetzt werden können sie nur in komplexen biochemischen Prozessen im Zeitbebereich einiger Stunden, das Gehirn meldet Schlafbedarf, wir werden müde. Allerdings trifft das nicht für alle Gehirnareale zu: Das Stammhirn dient der Regelung essentieller Lebensfunktionen und leistet das ohne Unterbrechung. Nicht alle Gehirnareale müssen sich gleichzeitig in Schlafzuständen befinden. Von Vögeln - etwa Fregattvögeln - weiß man, dass meist nur eine Gehirnhälfte verbunden mit dem zugehörigen Auge schläft, wenn sie sich mehrere Tage über dem Meer in der Luft befinden. Trotz kurzer Schafphasen beider Gehirnhälften von wenigen Minuten stürzen sie nicht ab.

Schlafzustände bewirken nicht nur "Erholung" des Gehirns und befreien uns von Schmerz, in ihnen trainiert es anscheinend neu angelegte oder neu anzulegende neuronale Verknüpfungen und gibt Verbindungen wieder "frei" für neue Gedächtnisinhalte in der folgenden Wachphase. Tatsächlich spielen alle Schlafphasen - besonders der Tiefschlaf (SW-Schlaf slow wave sleep mit mehr im Gleichtakt feuernden Neuronen) -  eine Rolle beim dauerhaften Speichern von Informationen im bewusst (deklarativ) arbeitenden Neokortex. Man nimmt an, dass vermittelt durch den Hippocampus im Wachzustand temporär gespeicherte Informationen in jeweils spezifische Bereiche des Kortex umgespeichert werden - wo mehr Speicherkapazität vorhanden ist und aus denen sie auch leichter wieder aufgefunden werden können - und somit das Kurzzeitgedächtnis wieder für neue Eindrücke frei wird. Für die "Lernfunktion" ist diese Schlafphase essentiell. Und im Tiefschlaf wirkt eine Filterfunktion, die das Vergessen als unwichtig eingestufter Eindrücke ermöglicht. In der nachfolgenden REM-Phase (rapid eye movement-) des Schlafs sind für Minuten bis zu durchschnittlich 2 Stunden (bei Babys länger) Teile des Gehirns (das limbische System) und die Augenmuskeln aktiv wie im Wachzustand, während die sonstige Motorik im Hirnstamm inaktiviert wird, sozusagen gelähmt bleibt. Eine selektive Sensibilität für den Hörsinn leuchtet evolutionsbiologisch ein: Wer das Geräusch eines Raubtiers überhörte hatte dann geringere Chancen seine Gene weiter zu geben. In der REM-Phase wird das prozedurale Gedächtnis für unbewusst ablaufende Bewegungs- und Funktionsabläufe trainiert. Im EEG (Elektroenzephalogramm) erkennt man kleine Ausschläge als Summe vieler Aktionspotentiale bei etwa 30Hz. Im SW-Tiefschlaf dagegen synchronisieren sich Neuronen, was höhere Amplituden bei niedrigen Frequenzen bewirkt. Der REM-Schlaf scheint eine späte Errungenschaft der Evolution zu sein, er findet sich bei Säugetieren und Vögeln. Wir wissen also nicht genau, ob die Saurier schon träumten...

Bei Zuständen intensiver Meditation oder Trance kann das rezeptive Empfinden für den eigenen Körper reduziert sein, der Körper ist eins mit der Umgebung oder geht in ihr auf. Beim Meditieren können kognitive Denkprozesse "ablaufen", Umweltreize und das Wahrnehmungsbewusstsein verändert sein. Körpergefühle wie Schmerz verschwinden dann ebenso wie es bei Zuständen in Todesnähe beobachtet wird, während andere Funktionen mit "Abstand zum eigenen Körper" etwa Erlebnisfähigkeit im Traumbereich und Langzeiterinnerungen besonders aktiv sein können. In religiöser Ekstase entwickelt sich im Hippocampus kein Zeitgefühl und keine räumliche Orientierung.

Viele Hinweise verdanken wir der Analyse von Funktionsstörungen Kranker und der chirurgischen Versorgung Verletzter. Dank bildgebender Verfahren wie der PET (Positronenemissionstomografie) und MRT (Magnetresonanztomografie) kann die Bearbeitung einer spezifischen Aufgabe bestimmten Zentren wegen ihrer relativ zur inaktiven Situation höheren Stoffwechselaktivität zugeordnet werden und aus der gleichzeitigen Erregung verschiedener Zentren kann auf deren funktionelle Zusammenarbeit und auf neuronale Verbindungen zwischen Hirnzentren geschlossen werden (fMRT funktionelle Magnetresonanztomografie). Man kennt etwa die an der "Vorverarbeitung" von Bildern beteiligten 30 Bereiche der primären Sehrinde im hinteren Teil des Großhirns und im Assoziationskortex oder die für kognitive Denkvorgänge zuständigen Zentren in den Frontallappen. Dennoch gibt es keinen einfachen "Bildbereich" im Gehirn wie etwa in einer Kamera, vielmehr sehen wir nicht mit dem "gesamten" Gehirn aber viele Bereiche beteiligen sich. Wir sehen verarbeitete Inhalte, letztlich ein mit einem erlernten Begriff interpretiertes Objekt in seiner Umgebung inmitten anderer Begriffe - wie uns optische Täuschungen lehren. Die Quelle unseres Sehvermögens, die optischen Sinnesrezeptoren sind besser untersucht. 95% von ihnen sind in einem kleinen Bereich der Netzhaut - der Makula - konzentriert. Über eine Makula verfügen nur Vögel und höhere Primaten. Sie ermöglicht nicht nur scharfes Sehen des interessierenden Objektes, sie ist auch die Voraussetzung für den im Gehirn erzeugten räumlichen Eindruck. Jeder hat gewiss schon beobachtet, wie eine sich in das Wohnzimmer verirrte Biene nicht über die offene Balkontür in die Freiheit findet, wenn sie auf eine andere Lichtquelle fixiert ist. Man muss ihr helfen, denn ihre Augen und Ganglien erlauben ihr kein inneres Abbild des Zimmers. Wohl aber kann eine Fliege der sich nähernden Hand reflektorisch sehr schnell ausweichen, auch ohne Überblick über den gesamten Raum. Ein Vogel dagegen kann sich in einer komplexen räumlichen Umgebung schnellstens orientieren. Seinem Gehirn hat es allerdings schwer, eine durchsichtige Scheibe zu identifizieren, wenn das in seinem Lebensraum nicht trainiert werden konnte.

"Geist und Bewusstsein sind nicht vom Himmel gefallen, sondern haben sich in der Evolution der Nervensysteme allmählich herausgebildet" - sagen Neurowissenschaftler. Und was wir durch Beobachtung des Verhaltens vieler Tierarten längst wussten,  wird durch immer mehr ausgefeilte Experimente noch deutlicher: Fische (Barsche) können logisch denken und Beobachtungen verallgemeinern, Eichhörnchen und Vögel (Raben und Krähen auch Elstern) planen ihr Nahrungsverhalten und sorgen für die Zukunft vor, Erdmännchen und Krähen halten Unterrichtsstunden für ihre Kinder ab... Und wie Experimente mit Tauben (Onur Güntürkün, Ruhr- Universität Bochum) eindrücklich gezeigt haben sind Vögel zu komplexen Denkleistungen für das Erkennen von Zusammenhängen fähig. Sie haben ein sehr kleines Gehirn doch dennoch viele anscheinend kleinere Neuronen als andere Wirbeltiere wie wir Menschen. Da Tiere nicht einfach mit uns kommunizieren können, sind die Experimente so angelegt, Denkergebnisse an ihrem Verhalten zu erkennen. Schließen wir das Thema mit einem Zitat von Gottfried Schatz: "Wir Menschen besitzen nämlich nicht nur ein Vererbungssystem, sondern deren zwei: ein chemisches System und ein kulturelles System. Das chemische System besteht aus DNS-Fadenmolekülen und einigen Zellstrukturen und bestimmt, was wir sein könnten. Das kulturelle System besteht aus der Weitergabe von Wissen und überlieferten Werten und bestimmt, was wir tatsächlich werden. Unser chemisches System erhebt uns kaum über andere Säugetiere, doch unser kulturelles System ist in der Natur ohne Beispiel."

Das was uns zu etwas Besonderem als Mensch macht - etwa unser semantischer Code für das Symbolsystem der Sprache und die Fähigkeit zum kognitiven Denken - spielt sich nicht nur in den Frontal - und Temporallappen der Großhirnrinde ab (dem Broca- und Wernicke-Areal, an Stirn und Schläfen, dem Gyrus angularis für die Verknüpfung von Hören, Sehen und Reden zur Sprache und unserem Präsenzsinn). Und nichts davon wird uns geschenkt. Im unbewussten "Reifungsprozess" und mühevollen Lernprozess muss es besonders im Kindes- und Jugendalter mit "Inhalt" gefüllt werden. Überraschendes wird dazu herausgefunden, etwa dass Babys vier Monate nach der Geburt schon addieren können. Was vordergründig als Nachteil des Menschen im Vergleich zu anderen hoch entwickelten Lebewesen auffällt, ist seine lange Entwicklungszeit bis zum "Erwachsensein", besonders die lange Reifungszeit von Teilen seines Gehirns. So gibt es Hinweise dafür, dass die im Stirnhirn (dorsaler Prämotor Cortex) sich ansiedelnde Kontrollinstanz für bewusstes Handeln erst mit 17 bis 20 Jahren voll entwickelt ist. Virtuelle Welten werden von Jugendlichen leicht als Realität empfunden. Vielleicht ist aber gerade die lange Reifungszeit des menschlichen Gehirns eine der Voraussetzungen dafür, dass der Mensch lebenslang kreativ sein, dass er flexibel und kognitiv denken kann.

©   Herzmassage in Körperwelten, Gunther von Hagens

Unser Geist und Körper sind eine einzige materielle Instanz, alle anderen Annahmen sind Mythos (materialistischer Monismus). Das ICH ist unsere Selbstwahrnehmung, es ist unser individuelles Neuronenkonzert im Gehirn, ständig im Fluss in einem laufenden Prozess. Es beinhaltet genetische Anlagen, entwickelt sich in den ersten beiden Lebensjahren und wandelt sich in unserem ganzen biographischen Lernprozess. Es muss sich mit seinen ästhetischen, logischen und ethischen Inhalten im ganzen Leben mit dem entwicklungsgeschichtlich alten gefühlsorientierten Zentrum - im Thalamus und der Amygdala (den beiden "Mandelkernen") - erfreuen und auseinandersetzen. Es muss selbst erst langsam Gestalt annehmend schließlich mit einem unvollkommenen alternden "Wirtsorganismus" befreundet bleiben. Wenn abstraktes Denken uns scheinbar einen Schlüssel zum Unvergänglichen anbietet, sind doch die körpernahen Gefühle und "Glückshormone" die besonderen Reichtümer unseres vergänglichen Wesens. Sie überfallen uns - "unsere erste Liebe macht uns blind", überraschend angegriffen fühlen wir uns leer, gute Argumente fallen uns viel zu spät ein. Und gerade auch dies mahnt uns zum rücksichtsvollen Umgang mit anderen höher entwickelten Lebewesen, die solche Gefühle mit uns teilen. Wir wissen doch längst: Elefanten trauern, Schimpansen sind zärtlich, schuldbewusst, aber sie tricksen und betrügen. Über ein Belohnungssystem verfügen sie wie wir. Auch Orgasmus ist eine alte Erfindung der Evolution. An dem Gewittersturm beteiligen sich Hormone wie Oxytocin, Prolactin und Dopamin und das kurze Lied spielt sich in unterschiedlichen Hirnregionen ab - auch entwicklungsgeschichtlich alten Teilen des Hypothalamus. Dieses Neuronenkonzert ist feiner strukturiert als unsere jetzigen fMRT-Bilder auflösen können - einstweilen bleibt nur der vage Verdacht es könnte ein winziges Zentrum dafür geben. Der "Algorithmus" für das Speichern im neuronalen Netzwerk und das Wiederauffinden oder Suchen ("Merken" und "Erinnern") aber auch die Histochemie beim Auf- und Abbau der Netzwerkverbindungen werden noch lange Gegenstand der Forschung bleiben. Manche Spekulation wird durch exaktes Wissen zu ersetzen sein. Hat nach dem Jahrhundert der Elementarteilchen gerade das "Jahrtausend des Gehirns" begonnen?

Mit dem Gedächtnis, mit der Fähigkeit Informationen zu speichern und zu Lernen, hat die Evolution einen gewaltigen Vorteil entwickelt, das Gehirn ist ihre Trumpfkarte: Auf dem Weg des Nachahmens eines Vorbildes, der "Lehre" können bei höheren Tieren in wenigen Tagen komplexe Abläufe in den Nachkommen "programmiert" werden. Vögel lernen beispielsweise durch Nachahmung in wenigen Tagen so etwas komplexes wie Fliegen. Und die lebenslange Lernfähigkeit ist besonders beim Menschen ausgeprägt. Das Gehirn wird gern mit einem Computer verglichen. Aber seine Architektur ist viel komplexer und intelligenter als die unserer derzeitigen Computer. Es hat die erstaunliche Fähigkeit, sich sein Programm selbst nicht nur adaptiv sondern schöpferisch weiter zu entwickeln. Das geschieht auch und vor allem nach dem grundlegenden Prinzip des Versuchs. Es lernt am Testergebnis, fast so wie wir auch  Wissenschaft betreiben (Positivismus). Und die Halbwertszeit, daraus neue Verhaltensmuster, neue Abläufe, neue Erkenntnisse zu gewinnen ist um viele Dezimalen kleiner als es die Evolution über die Gene je ermöglicht hätte. Das Gehirn ist die "Geheimwaffe" - nicht nur aber besonders - der menschlichen Art. Die aktuelle "kulturelle oder gesellschaftliche Evolution" stellt sich atemberaubend dar - wie eine Revolution in der evolutionären Geschichte des Lebens auf der Erde. Sie legt gegenwärtig ein unvergleichliches Tempo vor und wird im Unterschied zur genetischen Evolution nur von der Spezies "Homo sapiens" angetrieben. Dieser Vorgang ist in der bisherigen Geschichte des Lebens auf der Erde einmalig, insofern ist auch der Mensch etwas Besonderes. Aus der Vergangenheit mit dem Auftreten und Aussterben vieler Arten kann man deshalb nicht alles über die Zukunft der Spezies Mensch lernen.

Im Konkurrenzkampf könnte der Mensch seinen Vorsprung gegenüber anderen Arten gnadenlos ausnutzen. In der Vergangenheit sind viele Arten ausgestorben, wobei wir annehmen, dass sie sich Umweltveränderungen nicht schnell genug anpassen konnten. Heute verändern wir Menschen unsere Umwelt vor allem selbst. Die Anforderungen in der Gesellschaft und im Beruf verändern sich schon innerhalb einer Generation, also lassen wir der genetischen Evolution kaum eine Chance zu unserer Anpassung. Unser Gehirn mit seiner Lernfähigkeit muss ausgleichen und leisten, wozu der Mensch nicht "entworfen" wurde, und es leistet das! Wir müssen - in Zukunft noch mehr - mit der Diskrepanz klarkommen zwischen unseren geerbten Anlagen und unseren veränderten Lebensbedingungen: Rückenschmerzen wegen "zu viel" Büroarbeit, Fettpolster, hohen Blutdruck und Diabetes wegen nicht eingetretener Hungerperioden, einem dauerhaften Überangebot an Nahrung, Wasser und Salz, Kopfschmerzen wegen Überforderungen mit zu viel Aufgaben, Stresssymptome wegen viel Konkurrenz oder zu viel gleichzeitigen Anforderungen unter Leistungsdruck... Wir erreichen heute ein viel höheres Lebensalter als für die Reproduktion zuständig ist. Auf unsere Beschwerden und Erkrankungen im Alter konnte die Evolution mit dem Prinzip Auslese keine Antwort finden. Medizin, Technik und Pharmazie sind auf der Suche nach Antworten gefragt.

Unser Wissen von gestern ist schnell veraltet und das Wissen von heute kann morgen schon nutzlos sein. Wir werden zum Opfer unserer eigenen intellektuellen Fähigkeiten. Unsere Vorfahren kannten noch bleibende Werte und konnten auf verlässliches Wissen zurückgreifen. Für uns wird es immer dringlicher, aus der Masse an Informationen zur Qualität des Wesentlichen zu gelangen. Kein Mensch ist mehr in der Lage alles Wissen zu erfahren und zu speichern, kaum noch im eigenen Fachgebiet. Computer und Internet helfen uns als Wissensspeicher, beschleunigen und erleichtern die Suche. Bewusste geistige "Hygiene" kann jeder nur selbst üben, sich der Reizüberflutung, der Oberflächlichkeit zu entziehen und den vielfältigen Versuchungen seine Lebenszeit zu verschwenden... Wir leben leider nicht in einer Wissensgesellschaft sondern in einer Datengesellschaft.

Wir leben in permanenter Verunsicherung und werden uns noch mehr um das Gleichgewicht zwischen Körper und Geist bemühen müssen. Die Diskrepanz zwischen Veranlagung und neuen Anforderungen wird sich wohl noch vergrößern. Gute Zeiten für Therapeuten! Oder in einer ferneren Zukunft auch für Genmanipulation? Ganz sicher! Die Menschen haben schon immer alle Werkzeuge genutzt, deren sie fähig waren. Und durch sie ist der Mensch erst zu etwas Besonderem und "mächtig" geworden. Und diese Entwicklung ist sehr eindrucksvoll, ein direkter Weg führt von der Pfeilspitze aus Feuerstein bis zum Laserskalpell. Bisher haben wir es mehr schlecht als recht aber endlich doch nach jedem Rückschlag etwas besser verstanden, unsere Werkzeuge im Rahmen selbst aufgestellter ethischer und moralischer Grundsätze einzusetzen. Verantwortungsbewusstsein ist kein Fremdwort mehr und wird sich weiter entwickeln. Wir haben Glück, dürfen in einer Zeit leben, in der unsere Gesellschaft große persönliche Freiheiten erlaubt - ein Wert, der verteidigt werden will. Mehr Wahlfreiheit bedeutet freilich für jeden von uns, mehr Entscheidungen treffen zu müssen.

Nach unserem Empfinden wird die Menschheit klüger. Unsere Natur scheint uns aber wenig Chancen gegeben zu haben, bestimmte Fragen zu beantworten, mit denen wir uns gerade als etwas Besonderes qualifiziert haben. Die Frage "wozu" - "weshalb existiert die Welt mit uns Menschen" - scheint von einem außermenschlichen Standpunkt aus unzulässig zu sein. Unsere Erfahrung, dass es für alles - unser Verhalten oder Ereignisse in der Natur - eine "Begründung" gibt, die man nur finden muss, um als Mensch alles nachvollziehen zu können, scheint für bestimmte Fragen nicht hilfreich zu sein. Die Evolution hat uns Menschen so geschaffen wie wir sind, um in unserer Welt zu überleben und uns zu reproduzieren, zur Entwicklung und Perspektive der Art beizutragen (biologischer Imperativ). Insofern dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Ergründung des Mikro- und Makrokosmos uns nicht so leicht mit den uns mitgegebenen Sinnen gelingen kann und wir auch neue wenig anschauliche Wege fern unserer Intuition beschreiten müssen. Die Evolution hat uns die Fähigkeit zum Denken mit auf den Weg gegeben und damit zugleich ein Problem: Wir können nicht verstehen, weshalb wir sind, weshalb das Universum existiert.

Eine nie zu vollendende Aufgabe ist, das Universum in uns selbst zu ergründen. Ehrfurcht und Demut vor der Schöpfung sind dabei auch in Zukunft angesagt. Selbsterkenntnis hilft uns, das Göttliche in uns zu finden, das uns befähigt Selbstloses zu tun und unser Leben in Würde zu bestehen, auch Harmonie mit unseren Nächsten zu üben. Angesichts unseres zerbrechlichen und endlichen Daseins in der Welt von Fressen und Gefressen-Werden, von Naturkatastrophen und extrem lebensfeindlichen Bedingungen fast im ganzen Universum sollte uns die Suche nach dem Menschsein helfen, ein Gleichgewicht für unsere Seele zu finden, den Lebensmut und unsere Liebeskraft zu stärken. Anscheinend bemühen sich Menschen schon seit Urzeiten darum - seit sie ein Bewusstsein erlangt haben.

 

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